Wo die „Republikaner“ absahnen

Besuch bei den „sozialen Problemvierteln“ in Frankfurt/ Die „kleinen Leute“ sind sauer/ Traditionelle sozialdemokratische Wähler fühlen sich in der Postmoderne allein gelassen  ■ Aus Frankfurt/Main Heide Platen

Die Fahrstuhlkabine im Hochhaus am Frankfurter Berg ist verbeult und eng. Sie ächzt, quietscht und schaukelt bedenklich bis in den 25. Stock hinauf. Die beiden alten Damen aus der 8. Etage sind die Dunkelheit in den fensterlosen Fluren, den muffigen Geruch und den dubiosen Fahrstuhl gewohnt. Sie helfen sich gegenseitig, halten die Türen auf, achten aufeinander und darauf, daß das Haus in all seiner abgewohnten Schäbigkeit peinlich sauber bleibt. „Vierundzwanzig Jahre wohne ich schon hier, verkündet die eine. Und das klingt stolz – eine Mischung aus Heimatgefühl und trotzigem Durchhaltevermögen. Immer haben die beiden „schwer gearbeitet, immer Steuern gezahlt“. Die Ehemänner sind darüber gestorben.

Als sie Ende der 60er Jahre in die nagelneuen Häuser im Grünen einzogen, entsprach die niederschmetternde Architektur durchaus der Ästhetik der damaligen Generation: weg von den Altbauten, ins Moderne mit eigenen kleinen Kinderzimmern, gekachelten Bädern, Balkons, frischer Luft und nachbarlicher Anonymität. „Im Hochhaus“, sagt die alte Dame, habe sie sich damals „viel freier gefühlt“. Aber jetzt sei „hier alles ganz anders geworden“.

Kurz nach der Kommunalwahl zieht es die sozialdemokratischen Frankfurter KommunalpolitikerInnen zu Exkursionen in die Stadtteile. Die Ausflüge gelten den Orten, in denen die WählerInnen ihnen in Scharen davonliefen und die „Republikaner“ besonders erfolgreich waren. Die „Wohnstadt Am Bügel“ und der „Frankfurter Berg“ sind solche Viertel. Hier erhielten die rechtsradikalen Parteien zusammengenommen jeweils rund 20 Prozent der Stimmen, im gesamten Stadtteil Bonames, zu dem das Gebiet gehört, dagegen „nur“ 12,2 Prozent.

Am Bügel und der Frankfurter Berg genau gegenüber waren ursprünglich als Siedlungen im Grünen für junge Familien mit Kindern geplant. Sie entwickelten sich zu von den Soziologen verschämt so genannten „sozialen Brennpunkten“ und, auch im Jargon, „besonders belasteten Wohngebieten“. Die Stadtteile sind „nach und nach gekippt“, sagen Kritiker. Arbeitslosigkeit, hoher Ausländeranteil, Jugendliche aus „Problemfamilien“, frustrierte „Bezieher kleiner Einkommen“, allein gelassene alte Menschen kulminierten zu einer untereinander – und erst recht für die Nachbarschaft in den ordentlichen Reihenhäusern und Bungalows – unverträglichen Mischung. Die Ursachenforschung für die Wahlschlappe ist ein Geduldsspiel vor Ort, ein Puzzle aus vielen Teilen.

Auf der anderen Seite der Homburger Landstraße – im selben Stadtteil, aber in einer anderen Welt – ist die Meinung über „die gegenüber“ eindeutig: „Da wohnen die Asozialen!“ Da macht sich die Stimmung diffuser Angst Luft. Alexander Zabler, Leiter der Albert-Schweitzer-Schule, bestätigt das Offensichtliche. Es führt kaum ein gesellschaftlicher Weg von hüben nach drüben: „Die Straße ist wie eine Grenze.“ Zabler ist einer derjenigen, die seit Jahren um einen Stadtteil kämpfen, der offiziell gar keiner ist. Lediglich das Schild „Frankfurter Berg“ an der S- Bahn-Station weist das Viertel inzwischen auch als solchen aus. Das war ein preiswertes Wahlgeschenk der vormaligen CDU-Regierung. Und, so Zabler, es stiftete tatsächlich ein wenig Identität am Frankfurter Berg, für den vier Ortsbeiräte, „und damit eigentlich keiner“, zuständig sind. Und Identität hat der „vergessene Stadtteil“ auch bitter nötig. Der Bahnhof, die Visitenkarte jeden Ortes, ist wahrlich nicht auf Bütten gedruckt. Die Abgänge ducken sich wie niedrige, alte Fahrradschuppen. Selbst alte Leute klettern über die Gleise und rutschen den Bahndamm hinauf und hinunter, um nicht durch die finstere Unterführung gehen zu müssen. Die Straße ist holprig, voller Schlaglöcher und schlecht beleuchtet. Die trist-grauen Hochhäuser stehen eng im Kreis.

Die Julius-Brecht-Straße ist eine Adresse, die bei Bewerbungen besser nicht genannt wird. Über den Plattenbau in der Ex- DDR mokiert sich hier niemand. In der Mitte, zwischen kargem Rasen und Steinplatten, gähnt ein Loch. Es ist mit Sand gefüllt und stellt den Spielplatz dar. Das Einkaufszentrum hat Garagencharakter, die einzige Kneipe ist winzig. Brot gibt es – zum Glück, sagen die Frauen – wenigstens beim türkischen Imbiß. Eine Billigmarkt- Kette ergänzt das Angebot.

Birgit Disser arbeitet in einer der drei Kindertagesstätten. Sie beklagt, daß das Familienleben, vor allem bei den Deutschen, zerrüttet sei: „Familie findet hier fast nur noch bei den Ausländern statt.“ Und: „Die Nachbarn kennen sich nicht mehr, nicht einmal die Kinder.“ Auch sie hat die Angst im Stadtteil registriert: „Es gehen Gerüchte, daß sich alte Leute bewaffnen.“ Von Messern, Gasspray und Krückstöcken sei da die Rede gewesen.

Alexander Zabler wehrt sich gegen das Negativimage: „Eigentlich haben wir hier schon eine ganz gute Infrastruktur.“ Auch wenn ein Hort und das Geld für ein Beratungszentrum fehlen. Das Jugendzentrum ist nach fünfjähriger Schließung wieder eröffnet. Die Instandsetzung, vermutet ein Sozialarbeiter, habe nur deshalb so lange gedauert und so viel gekostet, „weil sich niemand richtig drum gekümmert hat“. Das bestenfalls bescheidene bis dürftige Ambiente öffentlicher Einrichtungen steht in herbem Kontrast zur Innenstadt. Zabler: „Die Leute fühlen sich gebrandmarkt. Sie wollen Zeichen der Zuwendung.“

Polizeisprecher Peter Borchardt bricht ebenfalls eine Lanze für die vermeintlichen „Problemgebiete“. Die Kriminalität am Frankfurter Berg sei „kaum relevant“. Auch Am Bügel habe sich die Situation in den letzten Jahren entschärft: „Das sind überschaubare Siedlungen. Da kann man sich durchaus sicher fühlen.“ Das sage er auch immer wieder „den Senioren“, für die er Vorträge hält. Wohnungseinbrüche gingen dort, wie überall, oft auf das Konto durchreisender, organisierter Banden und nicht auf das der Anwohner.

Zabler vermutet viele der rechtsextremen Wählerstimmen eher auf der anderen Seite der Straße. Da wohnen Angestellte, Beamte und Arbeiter, die von sich sagen, daß sie „einfache Leute“ sind, aber auch, daß sie „etwas geworden“ seien. Sie haben ihre eigenen Läden, gehen nicht „nach drüben“ und wollen „die da am liebsten weg haben“. Jahrzehntelang haben sie ihre winzigen Häuschen gehegt und gepflegt, ganze Baumärkte verbaut. Sie ziehen ihre Narzissen in Reih und Glied, stutzen die hohen Hecken ordentlich. Niemand durchquert ihre kleinen Straßen ungesehen. „Die haben sich“, weiß Zabler, „in den letzten Jahren richtig eingeigelt“. Darunter leidet selbst das Vereinsleben. Ihre Kinder sind jeden Montag, ebenso wie die aus den Hochhäusern, zuerst einmal zappeliges Zeugnis für den Video- und Fernsehkonsum in den eigenen vier Wänden. Daran verdienen drei Videotheken. Im Jugendhaus nennt Hans Lindenau eine weitere Problempalette. Es fehlt an Einrichtungen für Junge und Alte: „Keine Kneipen, kein Café, kein Restaurant.“ Und: „Keine Lehrstellen, keine Hoffnung.“ Da bleiben nur die kleinen Träume von ein bißchen Geld, dem Führerschein, dem eigenen Auto.

Mit Neid blickt der Frankfurter Berg nach Norden über die Nidda hinweg. Da ragen am Rande des 1972 eingemeindeten Dorfes Nieder-Eschbach die mächtigen Hochhäuser Am Bügel auf. Der Ben-Gurion-Ring wird von Taxifahrern „die Golan-Höhen“ genannt. Die Häuser Am Bügel, deren riesige Hausnummern oben an den Wänden die Orientierung erst ermöglichen, sind Mitte der siebziger Jahre entstanden. Sie stehen weniger gedrängt als am Frankfurter Berg: in der Mitte des Areals ein Teich, viele Spielplätze, das Einkaufszentrum verdient entfernt seinen Namen.

Verbittert sind hier die vielen Familien, die als Auswanderer aus Osteuropa kamen. Sie haben, weiß Pfarrer Wolter, „gedacht, sie leben hier endlich in der Heimat, unter Deutschen“. Der Ausländeranteil Am Bügel ist hoch. Und deren Kinder sind oft besser dran. Die pakistanischen Kinder im Kindergarten sprechen deutsch, englisch und ihre Heimatsprache. Und so bleiben die Ostaussiedler, die seit Generationen von Illusionen und bewahrend nationalem Deutschtum bis in die Tiefe geprägt sind, Fremde unter Fremden. Das Kreuz auf dem Wahlzettel muß für die akkurat gescheitelten alten Männer mit den bügelfaltenscharfen, altmodischen Anzügen und ihre Familien, vermutet ein Sozialarbeiter, „die Reaktion auf einen beständigen Alptraum“ gewesen sein: „Da hätten die Reps auch einen Besenstiel aufstellen können.“

Auch Fechenheim, im Mainbogen versteckt hinter dem Industriegebiet mit dem Hoechst-Werk Casella, ist traditionell eine Hochburg der Sozialdemokratie und ihrer „kleinen Leute“. Geklagt wird hier auch zum Beispiel über die schlechte Verkehrsanbindung. Aber der alte Ortskern mit seinem Dorfplatz ist noch intakt. Es gibt kleine Läden. Viele der Wohnhäuser gehören noch den „Einheimischen“, werden an Verwandte und Bekannte der nachfolgenden Generation vererbt oder verkauft. Die Leute reden miteinander, kennen sich und sind integrationsbereit gegenüber neu Zugezogenen. „Wünscht euch“, hatte ein kluger Stadtplaner aus dem Rathaus den Fechenheimern einmal auf einer Bürgerversammlung gesagt, „nicht zuviel an Infrastruktur“. Das könne Fechenheim erst attraktiv für Spekulanten und zuziehende „Neureiche“ machen.

Auch in Fechenheim konnte die extreme Rechte kräftig zulegen und erreichte rund 10 Prozent, andererseits aber behauptete sich die Sozialdemokratie, die zusammen mit den Grünen aktiv gegen die Informationsstände der „Republikaner“ protestiert hatte. Regine Neukumm-Holzner, deren Häuschen am alten Marktplatz steht, weiß, daß die Welt hier „gerade noch so“ in Ordnung ist. Aber Mieten und Autoverkehr steigen, postmoderne Eigenheime entstehen, alteingesessene Läden schließen. Der Stadt wirft sie vor, daß „von denen hier nichts richtig und nichts falsch gemacht wird. Die machen gar nichts.“ Aber das sei, sinniert sie dann vorsichtig, vielleicht nicht nur schlecht: „Viel mehr Angst haben wir vor der Modernisierung.“ Noch sei genug Platz da für die Kinder zum Spielen im „unentdeckten“ Fechenheim: „Mehr Infrastruktur würde vielleicht mehr zerstören als das, was jetzt fehlt.“

Andere, aber auch ambivalente, Hoffnungen auf die Zukunft gibt es am Frankfurter Berg. Das nach dem Abzug der Amerikaner freigewordene Kasernengelände könnte den Stadtteil zwar durch eine gemischte Wohnbebauung aufwerten, andererseits aber auch zu höheren Mieten führen. Doch hier hat sich einer der größten Immobilienmakler eingekauft, der auf eine Steigerung des Wohnwertes spekuliert. Und damit tickt eine neue soziale Zeitbombe für die Kommune.