Für den Mißerfolg stehen immer die anderen

■ Hoechst-Chef Hilger hat es mit einem gleichgesinnten Aufsichtsrat zu tun

Berlin (taz) – Der Hoechst-Vorstandschef Wolfgang Hilger ist ein Manager alter Schule. Obwohl er pflichtschuldig ins Vorwort jedes Geschäftsberichts ein paar Sätze zum Umweltschutz einfließen läßt, ist er ein fortschrittsgläubiger Naturwissenschaftler: Wo für den Segen der Menschheit produziert wird, gibt es auch Opfer. Das wachsende Interesse der Bevölkerung an Konzernstrukturen und ökologischen Folgen ist ihm lästig, weswegen der Mann mit den spröden Umgangsformen es auch möglichst ignoriert.

Schuld an dem schrumpfenden Erfolg des Konzerns sind für den Hoechst-Chef immer die anderen: Seit Jahren nörgelt Hilger, der auch Vorsitzender des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) ist, an den angeblich zu hohen Sicherheitsstandards in Deutschland insbesondere im Bereich Gentechnologie herum. Zur Zeit muß die schlappe Konjunktur als Buhmann herhalten. Daß der Konzern zu unflexibel sein könnte, wies Hilger dagegen zuletzt bei der Bilanz- Pressekonferenz vor zwei Wochen zurück. Keiner der zehn anderen Vorstandskollegen fuhr dem inzwischen 63jährigen in die Parade. Von Widerspruch hält der Hoechst-Chef nämlich nicht viel.

Die im Augenblick neben Hilger exponiertesten Figuren im Vorstand sind Hilgers Stellvertreter Günter Metz und Sicherheitschef Karl Holoubek. Metz, weil er dem Bereich Fasern, Kunststoffe und Folien vorsteht, in dem der Umsatz am stärksten eingebrochen ist. Holoubek, weil er nicht nur für Sicherheit sorgen soll, sondern gleichzeitig auch für die Produktion von Feinchemikalien und Farben. Zudem führt Multitalent Holoubek auch im VCI den Sicherheitsausschuß; wie lange noch, ist fraglich, denn die anderen Chemiefirmen beginnen immer unverhohlener über den Unfall-Spitzenreiter am Main zu meckern.

Konzernchef Hilger ist ein treuer Gefolgsmann seines Vorgängers Rolf Sammet, der 1985 aus Altersgründen den Chefstuhl räumte, aber als Aufsichtsratsvorsitzender noch bis Ende des Monats die Betriebspolitik mitbestimmt. Sammet wurde wegen Krankheit nicht eingezogen und widmete sich fast die ganze NS- Zeit über seinem Chemiestudium. Schon 1949, noch Jahre vor Zerschlagung der I.G. Farben, begann seine Karriere bei Hoechst. „Mehr Mut zur Marktwirtschaft“ war stets sein Credo. Er plädierte für das Prinzip der „Eigenverantwortlichkeit der Unternehmer“, worunter Sammet möglichst lasche staatliche Regelungen verstand. Mit Sammet sollen je zehn von der Belegschaft und zehn von den Aktionären gewählte Vertreter den Vorstand überwachen. Neben einem Vertreter der Petrochemical Industries aus Kuwait – fast 25 Prozent der Aktien werden von Kuwait gehalten – sitzen darin auch Vertreter der Dresdener, Commerz- und der holländischen ABN AMRO-Bank. Außerdem ist die Mannesmann AG durch ihren Vorstandsvorsitzenden vertreten, und auch der Ex-Bundespräsident der Schweizerischen Eidgenossenschaft soll den Hoechst-Vorstand mitbeaufsichtigen. Die Münchener Rückversicherung hat angekündigt, nur wenn alle anderen Mittel gegen die Störfallserie nicht helfen, ihren Vertreter zum Protest gegen die Hoechst-Chefetage zu veranlassen.

Nicht nur das Management, auch die Produktpalette der Hoechst AG ist nicht mehr am Zahn der Zeit. Viele ihrer Medikamente sind schon über 20 Jahre lang auf dem Markt. Während andere Firmen auf moderne Spezialprodukte setzten, schloß Hoechst gerade seine Produktionsstätten für Porzellanhüftgelenke und Basischemie für die Chipproduktion wieder. Annette Jensen