: Hoechst unzuverlässig bis nach oben
Hessens Umweltminister ordnet Zuverlässigkeitsprüfung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz an/ Die Unfallursache von Freitag ist noch immer unklar ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt und Niklaus Hablützel
Wiesbaden/Berlin (taz) – Die für den Produktions- und Sicherheitsbereich bei Hoechst verantwortlichen Vorstandsmitglieder, die von Hessens Umweltminister Joschka Fischer gestern zum Rapport nach Wiesbaden bestellt worden waren, präsentierten sich verschnupft: „Keine Pressegespräche, keine Interviews – bitte haben Sie Verständnis.“
Der hessische Umweltminister Joschka Fischer (Die Grünen) hatte zuvor offenbar kein Verständnis mehr für die Vorständler und ihren permanenten Erklärungsnotstand in Sachen Störfallserie. Fischer eröffnete den drei Hoechst-Vorstandsmitgliedern, daß er „förmlich die Überprüfung der Zuverlässigkeit der Betreiber“ nach Paragraph 20.3 des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) eingeleitet habe. Dem Vorstand erlegte der Minister auf, umgehend einen „Beauftragten“ zu benennen, der die Prüfer im Höchster Stammwerk und in Griesheim für die Dauer der Untersuchungen zu „begleiten“ habe.
Jede Zögerlichkeit von seiten der Hoechst AG bei der Beschaffung von Unterlagen und Informationen werde von der Aufichtsbehörde als „negatives Faktum bei der Bewertung der Zuverlässigkeit“ gewertet, drohte Fischer. Im übrigen habe die Hoechst AG die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Wie der Minister weiter mitteilte, wird sich die Zuverlässigkeitsprüfung sowohl auf den personellen Bereich „bis hin zu den oberen Hirarchien“ als auch auf die Sicherheitsorganisation des Unternehmens erstrecken. Denn es bestehe, „um es milde zu formulieren“ (Fischer), der „begründete Anfangsverdacht“, daß es bei der Hoechst AG wiederholt zu einem „Organisationsversagen“ gekommen sei. Zur Zeit sind alle Anlagen des Konzerns außer Betrieb, in denen es in den letzten sechs Wochen zu Störfällen gekommen war.
In einem kurzen Statement zum Gespräch mit dem Minister vertrat ein Hoechst-Vorständler die Auffassung, daß die Überprüfung zweifelsfrei ergeben würde, daß es bei Hoechst „kein Organsationsverschulden“ gegeben habe. Deshalb sei der Konzern an dieser Prüfung selbst interessiert.
Wie gestern bekannt wurde, sind Störfälle in dem 40 Jahre alten Betriebsteil, aus dem am Freitag das Oleum entwichen war, nicht selten. Der Werkssprecher möchte zwar nicht spekulieren, aber „ein bis zweimal“ pro Jahr dürfte die hochkonzentrierte Schwefelsäure aus einem kleinen Leck gedampft sein, sagt er. Die Mengen seien aber ungefährlich gewesen – anders als am Freitag nachmittag, als plötzlich ein Glasrohr brach. Nach ersten Schätzungen traten etwa acht Tonnen Oleum aus einem gebrochenen Glasrohr. Wieviel tatsächlich aus dem Leck floß, ist möglicherweise nicht mehr exakt feststellbar. Offenbar funktionierten entsprechende Meßapparaturen nicht ordnungsgemäß.
Auch die Ursache des Unfalls war bis gestern immer noch unklar. Der Konzern will heute eine offizielle Erklärung veröffentlichen. Ein Sprecher der kritischen Betriebsratsgruppe „Forum“ wundert sich über diesen Erklärungsnotstand: „Ein Glasrohr bricht, wenn der Druck zu hoch wird oder etwas drauffällt.“ Der Betriebsrat hat eine „Schwachstelle“ ausgemacht und fragt sich, warum nicht Rohre aus gleichfalls säurebeständigem, aber weniger zerbrechlichem Material eingesetzt werden. Nach dem heutigem Stand der Technik hätten sich außerdem die Ventile zu dem schadhaften Rohr automatisch schließen müssen. Unklar ist, ob eine solche Automatik versagt hat oder gar nicht vorhanden ist – die Ventile wurden von Hand geschlossen. Weil die Arbeiter zuerst Schutzanzüge holen mußten, ging kostbare Zeit verloren, in der die hochkonzentrierte Säure ungehindert aus dem Leck floß.
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