■ Was kommt nach dem gescheiterten Versuch von Dresden?
: Politische Kampfansage

Der Vermittlungsversuch des sächsischen Ministerpräsidenten Biedenkopf im ostdeutschen Tarifstreit ist zum Eklat geraten. Biedenkopf ging offensichtlich davon aus, angesichts der desolaten Situation der ostdeutschen Betriebe müßten Gewerkschaften und Arbeitgeber existentiell daran interessiert sein, einen Arbeitskampf zu verhindern. Diese Annahme war falsch. Wie die Kölner Verbandsfunktionäre von Gesamtmetall das von ihrem sächsischen Verbandsvorsitzenden mit ausgehandelte Kompromißpaket vom Tisch gefegt haben, läßt nur einen Schluß zu: Die Arbeitgeber wollen den mit ihrer „außerordentlichen“ Kündigung vollzogenen Vertragsbruch durchsetzen. Sie wollen die politische Konfrontation.

Es müßte schon ein kleines politisches Wunder geschehen, wenn jetzt noch der Arbeitskampf verhindert werden kann. Vielleicht sollte sich nun der brandenburgische Ministerpräsident Stolpe darin versuchen, den gleichgelagerten Konflikt in der ostdeutschen Stahlindustrie zu schlichten. Hier besteht noch am ehesten die Aussicht, daß sich Teile des ostdeutschen Unternehmerlagers der Scharfmacherlinie von Gesamtmetall entziehen. Eine Lösung ist nur noch denkbar, wenn die ostdeutschen Firmenleiter den Crash-Kurs ihres Verbandes stoppen.

Die IG Metall braucht sich um ihre Mobilisierungsfähigkeit in den Betrieben seit dem Wochenende von Dresden keine Sorgen mehr zu machen. Sie hat in den Warnstreiks Anfang April ihre Kampfbereitschaft demonstriert und jetzt ihre Kompromißwilligkeit unter Beweis gestellt. Der gescheiterte Vermittlungsversuch von Dresden hat ihren Mitgliedern bestätigt, daß es hier um mehr geht als den Kampf um die Prozente der Lohnangleichung. Die Arbeitgeber versuchen in der Krisenregion Ostdeutschland durchzusetzen, was sie im Westen noch nicht durchsetzen können: eine Deregulierung des tariflichen Schutzsystems.

Der lange Zeit nur in diffuser Verunsicherung der Menschen sich ausdrückende soziale Konflikt im vereinigten Deutschland gewinnt nun scharfe Konturen. Er lädt sich mit politischen Inhalten auf und gibt den Betroffenen in den ostdeutschen Betrieben zumindest für die Zeit des Arbeitskampfs soziale Handlungsmöglichkeiten zurück, die sie in den langen Jahren des Niedergangs seit der Wende immer mehr verloren haben. Und der Kampf gegen den „Rechtsbruch“ der Arbeitgeber transportiert wahrscheinlich mehr demokratisch-rechtsstaatliches Bewußtsein als sämtliche Fernsehpredigten gegen den Rechtsradikalismus. Insofern hätte ein Arbeitskampf trotz aller Gefahren für die ostdeutsche Wirtschaft auch sein Gutes. Martin Kempe