Alle zwei Wochen ein Stück Heimat

■ Für die kleine koptische Gemeinde in Berlin bedeutet der Gottesdienst mehr als der Dienst an Gott / Die Kinder sollen die Kultur ihrer Eltern verstehen lernen

Berlin. Die Luft ist schwer. Der Geruch von Weihrauch juckt in der Nase. An der Stirnseite des kleinen Raumes vor dem Altar steht der Priester mit langem schwarzen Bart und einem Talar mit Kapuze. In melodischem Sing- sang trägt er auf arabisch die Liturgie vor.

Die kleine mit Ikonen verzierte „Sankt Antonius und Shenuda Kapelle“ ist in einem Nebenraum der Reformationskirche in der Beusselstraße in Moabit untergebracht. Hier trifft sich an jedem ersten und vierten Sonntag im Monat die kleine koptische Gemeinde von Berlin zum Gottesdienst.

Die koptische Kirche ist eine Abspaltung der griechisch-orthodoxen Kirche, das Zentrum der Kopten liegt in Alexandria in Ägypten. In Berlin leben derzeit 55 koptische Familien, die vorwiegend zu Beginn der fünfziger Jahre aus Ägypten nach Berlin kamen. „Viele von uns haben hier geheiratet und sind hier geblieben“, erzählt ein Mann während des Gottesdienstes in Moabit. 1953 wurde dann offiziell die koptische Gemeinde von Berlin gegründet. Vor einem Jahr schickte der Patriarch Shenuda III. in Alexandria endlich einen Priester nach Berlin, den sich die hiesige Gemeinde allerdings mit einer zweiten in Hannover teilen muß.

Wie viele Kopten es in Ägypten gibt, da gehen die Schätzungen weit auseinander. Die Zahlen schwanken, je nach Quelle, zwischen zwei und acht Millionen. Als Christen in einen mehrheitlich islamischen Land haben sie oft einen schweren Stand gehabt. Die Zeiten, als sie nur in blauen Gewändern und mit schweren Kreuzen behängt herumlaufen mußten, sind vorbei. Ausgrenzung und Diskriminierung gibt es jedoch auch heute noch. Nach islamischem Recht darf kein Christ in der beruflichen Hierarchie über einem Muslim stehen. So sind die Aufstiegschancen für Kopten begrenzt. Manche Berufe bleiben ihnen ganz verwehrt. Je nach politischem Regime konnten sie mehr oder weniger Einfluß auf das öffentliche Leben in Ägypten gewinnen.

„Die Religion ist für jeden einzelnen. Die Heimat für uns alle.“ Das war das Motto der ägyptischen Nationalbewegung zu Anfang des Jahrhunderts. In der Zeit vor Machtübernahme der Freien Offiziere unter Nasser 1952, hatten viele Kopten eine wichtige Stellung im politischen Leben errungen. Unter Nasser wurden sie dann zunehmend wieder herausgedrängt, ab 1956 gab es eine Auswanderungswelle. „Das lag aber nicht nur an der religiösen Diskriminierung. Viele Kopten aus der Oberschicht sahen ihr Eigentum durch die Verstaatlichung der Wirtschaft in Gefahr“, erklärte Milad Hanna, koptischer Schriftsteller und Politiker, in einem Interview in Kairo.

Die Migration hat das religiöse Leben verändert

„Für uns ist die Religion sehr wichtig“, erzählt der ältere Herr weiter. Der Gottesdienst sei für sie ein Stück Heimat. „Wenn wir uns hier alle zwei Wochen treffen, ist das wie zu Hause“, sagt er. Doch das religiöse Leben hat sich durch die Migration auch verändert. Abuna Hippolytus El-Serani, der Priester der Berliner Gemeinde, besucht seit einiger Zeit einen Deutsch- Kurs. Schon jetzt werden Teile der Liturgie auf deutsch gesprochen. Damit auch die deutschen Ehefrauen und die Kinder, die in Berlin aufgewachsen sind und meist kaum Arabisch sprechen, einen Zugang zur Religion bekommen, wurden alle Texte übersetzt. „In einigen Jahren“, schätzt das Gemeindemitglied, „werden wir wohl nur noch Deutsch sprechen.“

Frischer Weihrauch wird angezündet. Ein Diakon schwenkt das Gefäß, damit er sich gut im Raum verteilen kann. Sonnenstrahlen, die durch die schmalen Fenster an der Längsseite fallen, bohren sich durch den Nebel. Nach einer festgelegten Zeremonie segnet der Priester das Abendmahl und verteilt es an die Gläubigen. Viele Kinder nehmen daran teil. Frauen und Mädchen haben dazu Kopftücher umgebunden. Dies wird als Zeichen des Respekts an ihren Gott gesehen. Anschließend stürmen die Kleinen aus der Kapelle. Während der Priester predigt, gehen sie zur Sonntagsschule. Mit der Religion soll ihnen auch Verständnis für die Kultur ihrer Eltern vermittelt werden. Die Gemeinde legt großen Wert auf die Jugendarbeit, oft fehlt jedoch das nötige Geld, um Ausflüge zu unternehmen oder Bücher zu kaufen. Die Gemeinde finanziert sich nur durch die Spenden ihrer Mitglieder, auch der Priester wird so bezahlt.

Mit dem Erstarken der islamistischen Bewegung in Ägypten ist es dort in den letzten Jahren immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen radikalen Muslimen und Kopten gekommen. „Das sind doch alles Terroristen“, sagt der Mann erbost. Hier in Berlin gäbe es keine Spannungen zwischen den muslimischen ÄgypterInnen und ihren christlichen Landsleuten. „Wir freuen uns immer, wenn wir jemanden von zu Hause treffen“, erklärt er. „Wenn wir in der Gemeinde Feste machen, dann kommen auch oft muslimische Freunde und feiern mit uns.“

So wird es auch sein, wenn die kleine Gemeinde am 18. April Ostern feiert. Die Fastenzeit der griechisch-orthodoxen Kirche dauert eine Woche länger als die anderer christlicher Religionen, deshalb feiert sie auch eine Woche später Ostern. „Wir treffen uns dann schon am Samstag morgen hier. Fasten den letzten Tag gemeinsam und gehen zusammen zum Gottesdienst“, beschreibt der ältere Herr. Danach wird dann ein großes Essen für alle aufgetischt und bis spät in die Nacht gefeiert. „Das Beste an Ostern sind immer die vielen verschiedenen Kekse.“ Julia Gerlach