Ach Brasilien! Von Thomas Pampuch

Aufgepaßt, liebe Leserin, Vorsicht, lieber Leser, dies ist eine Aufzeichnung. Während Ihr das hier lest, weilt der brave Kolumnist gerade in, wollen doch mal im Programm gucken, ja, in Manaus am Amazonas. Beruflich natürlich, denn von einer Kolumne kann man ja nicht leben, oder – wie der Valentinsche Spritzbrunnenaufdreher so klassisch formuliert hat: leben schon, aber wie.

Ach Manaus, ach Rio, ach Salvador, ach auch du, mein Iguacu, wie sehne ich mich nach euren Gestaden. Ach, Brasilien, soviel haben sie inzwischen wieder über dich geschrieben, so viele schöne Bildbände gefüllt, mit Zuckerhut und Tanga, mit Pelourinho und Capoeira, mit Piranha und Congonhas, daß einem schon das Betrachten der Bilder eine Caipirinha auf die Zunge schmust. Und das Aussprechen der Namen. Denn Brasilien muß man hören! Wohl kein Land der Welt kann einen allein mit der Sprache so einwickeln. São Paulo etwa lohnt schon wegen der Ansagen auf dem Flughafen Guarulhos: Meine Lieblingsansage, die Flugverbindung von Iguacu über Curitiba, São Paulo und Rio de Janeiro nach Belo Horizonte gehört entweder auf den Index oder ins Museum der Meisterwerke erotischer Kunst. Oder beides.

Schmonzetten? Sicher. „Zu den zahlreichen Peinlichkeiten, die der moderne Massentourismus für uns bereithält, zählt sicher die Verkitschung Brasiliens zu einem tropischen Paradies voller fröhlicher und tanzender Menschen und unvergleichlich erotischer Mulattinnen...“ Schreibt Manfred Wöhlcke in seiner Länderkunde Brasilien bereits im ersten Satz. Jeder halbwegs aufgeklärte Reisende in Länder der Dritten Welt kennt dieses unangenehme Gefühl: Ohnehin aus dem Sahnehäubchen der Weltgesellschaft kommend, sahnt man nun auch noch in diesen Ländern die Sahne ab; knabbert an der Schokoladenseite und hat gleichzeitig ein schlechtes Gewissen. Was tun? Nicht hinfahren? Von Slum zu Slum reisen? Spenden? Aufklären? Angesichts des Elends, das ja selbst dem vernageltsten Touri nicht ganz verborgen bleibt, ist es schwer, eine Reise in diese Länder vernünftig zu begründen und hinzukriegen. Dieses Dilemma ist beim Rucksacktouristen keineswegs geringer als beim Pauschalreisenden. Und auch die sogenannten Forschungsstipendiaten und Entwicklungshelfer, ganz zu schweigen von den Wirtschaftsfritzen, müssen sich fragen lassen, was sie da eigentlich tun. Dem Paternalismus und dem Kulturimperialismus weichen sie alle nur schwer aus, auch und gerade wenn sie es gut meinen. Da mag man manchmal direkt den Necker- und Mackermann beneiden, der sich wenig angekränkelt von solchen Skrupeln an die Copacabana haut, die Sonne auf den Bauch scheinen läßt und – „kiekma, det schöne Elend“ – drauflos fotografiert, was das Zeug hält.

Bloß: Kein Auge mehr zu haben für die Schönheiten, keine Nase für die Gerüche, keine Zunge für die Geschmäcker und – schreckliche Vorstellung – keine Ohren für die Laute, ist bestimmt keine Lösung. Nur das Elend zu sehen, ist auch eine Art von Paternalismus. Denn sehr oft kann man in diesen Ländern etwas lernen. Leben zum Beispiel, aber wie!