Der Streik der „Dudelfunker“

Lokalradios an Rhein und Ruhr im unbefristeten Arbeitskampf für mehr Gehalt, gegen Verlegerwillkür  ■ Von Johannes Nitschmann

Live ist live: Mitten in die Sendung des „Streikradios“ platzt der Gasmann. Ausgerechnet dort, wo streikende Lokalfunker in der Bielefelder Fußgängerzone ihr Studio aufgebaut haben, wollen die Stadtwerke „eine undichte Gasleitung“ reparieren. Das abrupte Ende einer landesweiten Streikdemo droht. „Wir müssen hier jetzt arbeiten“, führt ein fix auf die Studiobühne gejumpter Bauarbeiter plötzlich die Radio-Regie und bittet die „streikenden Kollegen“ um Verständnis. Doch die reagieren mit gellenden Pfiffen und wütendem Gejohle auf „diese Sabotage“. Zwangsläufig müssen die Arbeitgeber dahinterstecken. Etwa hundert Demonstranten haben sich versammelt, um auf Transparenten über „zu wenig Geld für zu viel Arbeit“ beim Lokalfunk zu klagen. Nur einer von ihnen zeigt Verständnis für den Gasalarm: „Stimmt, es ist ganz schön explosiv hier.“

Während sich die Fronten in dem seit nunmehr vier Wochen andauernden Arbeitskampf bei den nordrhein-westfälischen Lokalradios zunehmend verhärten, zeigen sich Gasmänner und Lokalfunker in Bielefeld doch noch flexibel. Man verständigt sich auf die friedliche Koexistenz von Radiosound und Spitzhackentremolo. Beim Talk auf der Studiobühne ist vom „brüchigen Zweisäulenmodell“, vom „Zweiklassenjournalismus“ und „Medien-Monopolisten“ die Rede. Dazwischen das Geknatter der Bauarbeiter. Justus Klasen, Redakteur bei „Radio Duisburg“, zeigt demonstrativ auf das gegenüberliegende Verlagsgebäude der Westfälischen Nachrichten und echauffiert sich: „Hinter dieser schönen Fassade ist knallharter Beton. Die Verleger wollen uns Billigtarifverträge andrehen.“

Was das ganze Spektakel soll, erfahren Passanten allenfalls durch ein Flugblatt, das ihnen von den Streikposten in die Hand gedrückt wird: „Wenn Sie gerne Lokalfunk hören, dann wundern Sie sich nicht, wenn in nächster Zeit Funkstille herrscht. Die MitarbeiterInnen des privaten Lokalfunks befinden sich in einem Arbeitskampf.“ Kernpunkt dieses Kampfes sind wie immer die Gehälter. Die örtlichen Zeitungsverleger, die in Nordrhein-Westfalen nach einem ziemlich undurchschaubar verschachtelten Zweisäulenmodell über Betriebsgesellschaften das wirtschaftliche Management des 1990 gestarteten Lokalfunks betreiben, bezahlen ihre Radioredakteure bislang nach Belieben. Da werden Zulagen offen als „Nasenprämie“ deklariert.

Und so beklagen die streikenden Lokalfunker an Rhein und Ruhr „Wildwest-Methoden“ bei Bezahlung, Arbeitszeit und Ausbildung. Derzeit schwanken die Monatsgehälter der privaten Radiomacher in NRW zwischen 3.200 und 5.000 Mark; ihr Jahresgehalt liegt damit satte 20.000 Mark unter dem der Zeitungsredakteure. Seit fast drei Jahren ringt die Mediengewerkschaft mit den Arbeitgebern um den Abschluß eines Tarifvertrags, bisher ohne Erfolg. Anfang Februar votierten die Lokalfunker daher in einer Urabstimmung für Streik. In der Öffentlichkeit ist der Ausstand der nordrhein-westfälischen Privatradios bislang jedoch nahezu unbemerkt geblieben. Die Tageszeitungen, deren Verleger bei den Lokalsendern das Sagen haben, schweigen den Streik mit wenigen Ausnahmen tot. Und die Radios senden trotz Streik rund um die Uhr munter weiter.

Schon morgens um 5 sitzt Werbeleiter Stepan Babic in der Redaktion von „Radio K.W.“ im niederrheinischen Kreis Wesel und textet die Nachrichten für das Morgenmagazin. Wenig später beginnt der Arbeitstag für Martin Schulte, bislang zuständig für das Sprechen der Werbespots. Doch seit neuestem hören die Weseler den zum Moderator avancierten Spotsprecher Schulte frühmorgens gleich drei Stunden lang im Dauertalk. Lediglich für den lokalen Nachrichtenblock gibt der flotte Vielsprecher das Studiomikrophon frei. Dann kommt der Kollege aus der Werbeabteilung dran, der gelernte Handelsvertreter Babic.

Die Streikkultur im nordrhein- westfälischen Lokalfunk treibt seltsame Blüten. Während die Werbeabteilung das Radioprogramm fährt, hat die siebenköpfige Redaktion von „Radio K.W.“ am 8. März unbefristet Griffel und Mikrophone fallen gelassen. Täglich fährt man statt dessen ins Essener Streiklokal. Die Kampfeslust wird immer dann gesteigert, wenn wieder eine „Streikaktion“ geklappt hat. „Hey, Boß, ich brauch' mehr Geld“, plärrt beispielsweise aus etlichen Lokalradios immer wieder die Streikbotschaft Gunther Gabriels. Andere Lokalstationen überfahren die Werbeblöcke mit Musik, „um so die Verleger gezielt wirtschaftlich zu treffen“. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Nach Einstellung des Sendebetriebs signalisierte „Radio Duisburg“ seinen Hörern mit einem penetranten Pegelton den Ausnahmezustand. Und die streikenden Lokalfunker von „Radio Sauerland“ dudelten drei Stunden lang unaufhörlich: „Herzilein, du darfst nicht traurig sein“.

Doch der Arbeitskampf, an dem sich nach Angaben der Mediengewerkschaften rund 150 Lokalfunker von 22 NRW-Privatsendern beteiligen, hat auch seine Schattenseiten: Längst hagelte es jede Menge Abmahnungen und Moderationsverbote. Da nützt es auch nichts, wenn in den Veranstaltungsgemeinschaften, die nach dem Zweisäulenmodell die Programm- und Redaktionsaufsicht haben, vielerorts Sozialdemokraten und Gewerkschafter das Sagen haben.

Thomas Bücker vom Recklinghäuser Sender „Funk im Vest“ (FiV) ist auf die Betonfraktion aus NRW schlecht zu sprechen. „Wenn Sozialdemokraten Arbeitgeber werden, sind sie kaum zu ertragen.“ Und ein Kollege sekundiert: „Die spielen sich auf wie ein Nowottny für Arme.“

Paradebeispiel für einen solchen Möchtegern-Intendanten ist der Mülheimer SPD-Ratsherr Oskar Paumer, der als Vorsitzender der Veranstaltergemeinschaft von „Antenne Ruhr“ wie ein knallharter Arbeitgeberboß auftritt. Bereits nach den ersten Warnstreiks ließ der ehemalige IG-Metall-Sekretär die Gehälter der Lokalfunker kürzen und stellte ihnen Telefon- und Faxgebühren in Rechnung. Die von Gewerkschaftsseite unterstützten Streiks verglich Paumer mit „Aktionen der KPD/ML.“

Dabei sind die Streikbrecher- Praktiken der Lokalfunkbetreiber alles andere als gesetzeskonform. Als die bestreikten Lokalsender kurzerhand Mantelprogramme von „Radio NRW“ übernahmen, um ihre streikbedingten vier- bis achtstündigen Sendelöcher zu füllen, kam die Düsseldorfer Landesrundfunkanstalt nach juristischer Prüfung zu dem Ergebnis, dies verstoße eindeutig gegen das Landesrundfunkgesetz. Seitdem senden die meisten lokalen Radios „Notprogramme“, die überwiegend von freien, vielfach völlig fachfremden Mitarbeitern zusammengemixt werden.

Für Lokalfunkerin Anne Schumann-Hüwe, geht es bei diesem Arbeitskampf längst nicht mehr „nur um ein paar Prozent“, sondern „um die Existenz des Lokalfunks in Nordrhein-Westfalen“. Das von der Rau-SPD seinerzeit als medienpolitisches Prunkstück gefeierte Zweisäulenmodell erweist sich mehr und mehr als brüchig, der Lokalfunk vielerorts als unwirtschaftlich.

Jo Straeten, zwischenzeitlich in die freie Wirtschaft abgewanderter Gründungs-Chefredakteur der Mülheimer „Antenne Ruhr“, hält das umstrittene Zweisäulenmodell für einen „Sündenfall sozialdemokratischer Medienpolitiker“, die es zugelassen hätten, daß sich „Zeitungsverleger ihr Privatradio-Gesetz der Einfachheit halber gleich selber schreiben konnten – im Auftrag und in Absprache mit der Landesregierung“. Frappierend ist für den Lokalfunk-Experten, wie sich landesweit Polit-Laien, engagierte Gewerkschafter, aber auch „Gewerkschaftlhubern und zynische Lobbyisten“ vor den Karren der Verleger spannen ließen.

Die aus einem breiten gesellschaftlichen Spektrum zusammengesetzten Veranstaltergemeinschaften, die per Gesetz einen bürger- und basisnahen Rundfunk garantieren sollen, stehen mit dem Rücken zur Wand. Längst bestimmen die von den Zeitungsverlegern mit bis zu 75 Prozent der Anteile majorisierten Betriebsgesellschaften, wo's langgeht.

Und diese knapsen und knausern. Neben der „krassen Ungleichbehandlung“ gegenüber ihren Zeitungskollegen prangern die Lokalfunker im laufenden Arbeitskampf die „skandalösen Arbeitsbedingungen“ an. Überstunden seien ebenso an der Tagesordnung wie zehn- bis zwölfstündige Arbeitstage. Bis heute existieren keine tariflichen Urlaubs- und Schichtregelungen. Überall wird rigoros gespart. Viele Programme hören sich danach an.

„Die Studioausstattung ist 'ne Katastrophe, alles vom Billigsten“, empört sich Wolfram Zbikowski von „Antenne Ruhr“ über „ratternde Bandmaschinen“ und „klackernde Knöpfe“ am Mischpult. Die Arbeitgeber haben dafür nur Hohn und Spott übrig. Bei den Tarifverhandlungen lästern sie gerne über die „Dudelfunker“, „Plattenleger“ und „Paradiesvögel“, denen sie die „Redakteurs“- Bezeichnung partout nicht zuerkennen wollen.

Im Essener Streiklokal kursieren derweil Gerüchte, daß die ersten Lokalsender schon bald wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit geschlossen werden. Die Lokalfunkbetreiber lehnen bislang eine Schlichtung des Tarifkonflikts kategorisch ab. Gleichzeitig üben sie sich in gekonnten Drohgebärden: so wurde die Arbeitnehmerseite wiederholt gewarnt, sich „nicht den eigenen Ast abzusägen“. Kommt Frust in der Streikzentrale auf, dann kocht die Gerüchteküche. So sollen in der Chefetage der „Westfunk“, die die Beteiligungen des mächtigen WAZ-Konzerns managt, konkrete Pläne existieren, „von heute auf morgen einen Sender zu schließen, um im Arbeitskampf ein deutliches Zeichen zu setzen“. Akut bedroht ist angeblich der kleine Lokalsender „Herne 90,8“, der tiefrote Zahlen schreiben soll. Justus Klasen, der Koordinator des Essener Streiklokals, hält ein solches Exempel der „Westfunk“-Manager nicht für ausgeschlossen, denn: „Das ist 'ne Mafia, da sitzen Gangster.“

Doch viele der Streikenden wollen sich von solchen, offenbar gezielt lancierten Tatarenmeldungen nicht einschüchtern lassen. Auch nicht „FiV“-Redakteur Aleweld. Er kreierte für die Arbeitgeber soeben den „Grimmig“-Preis. Bei der nächsten Tarifrunde, so sie denn von den Möchtegern-Intendanten nicht wieder kategorisch boykottiert wird, soll dieser Preis in Form eines Spielzeugaffen feierlich überreicht werden.