Romys gutturale Schnalzer

■ Das ZDF zeigt Luchino Viscontis "Ludwig" erstmals in unzensierter Fassung

In der sogenannten deutschen Trilogie von Luchino Visconti geht es um Zerfall und Heraufkunft einer neuen Ordnung. In „Die Verdammten“ (1968) um den Zerfall des bürgerlichen Feudalismus, dargestellt an der Familie Krupp, deren Niedergang Platz schafft für das funktionelle Zuchtdenken der Nazis. Diesem gesellschaftlich-politischen Zerfall setzt Visconti in „Tod in Venedig“ (1970) den inneren Zerfall eines deutschen Künstlers entgegen, der in seiner entfesselten Leidenschaft vergeht, die er bislang nur am wohltemperierten Klavier lebte. In „Ludwig“ (1972) versuchte Visconti schließlich die Vermittlung zwischen individuellem ästhetischen Exzeß und den zeitpolitischen Hintergründen. Wovon das hiesige Kinopublikum wenig mitbekam, da „Ludwig“ in deutschen Kinos nur mit erheblichen Kürzungen lief.

Die Schnitte erfolgten in zwei Etappen. Als Visconti 1972 erkrankte, zwang ihn sein Produzent, den auf viereinhalb Stunden konzipierten Film um rund ein Drittel zu kürzen. In vorauseilendem Gehorsam gegenüber dem deutschen Adel schnitt der hiesige Verleih munter weiter. Schließlich wurde noch, um den düsteren Film aufzupeppen, willkürlich an 12 Stellen heitere Musik unterlegt. Der Schere zum Opfer fielen wichtige Szenen, die die Gebrochenheit des bayerischen „Märchenkönigs“ zum Ausdruck bringen. Unkenntlich gemacht wurde z.B. Ludwigs Beziehung zu seiner Schwägerin Elisabeth, genannt Sissi (Romy Schneider). Der heftigste Schnitt enthielt dem deutschen Publikum Ludwigs Homosexualität vor, die sich u.a. im Verhältnis zu seinem Diener ausdrückt. Doch jetzt sind sie wieder zu sehen, die Eier eines Jünglings während eines nächtlichen Gelages.

Zwei enge Mitarbeiter Viscontis erstellten nun im Auftrag der RAI eine Neumontage des Werks. Da seinerzeit nur die Zensurfassung ins Deutsche übersetzt wurde, mußten die etwa 45 wieder eingefügten Minuten neu synchronisiert werden. Was bei inzwischen verstorbenen Schauspielern wie Gert Fröbe und Romy Schneider Probleme aufwarf. Die Stimme der Romy-Schneider-Sprecherin wurde per Voicecomputer dem Original behutsam angeglichen. Doch für Spezialistenohren sind Romys gutturale Schnalzer unnachahmlich, Gott sei Dank.

Viscontis „Ludwig“ ist keine historisch exakte Biographie, sondern hellsichtige Spekulation. Die regierungstechnische Souveränität des Monarchentums hatte zu seiner Zeit schon stark gelitten. Vom Politischen her war Bayernkönig Ludwig II. daher ein Dinosaurier. Man brauchte ihn aber noch, um zwischen der längst gebildeten Schattenregierung und dem Volk zu vermitteln. Die bürgerliche Regierungsgewalt stand noch nicht ganz auf eigenen Füßen; das Volk sah sich noch in monarchischem Pomp repräsentiert. Gegen die Strohmannfunktion öder, etikettenhafter Machtrepräsentation setzt sich Ludwig II. durch Überkompensation zur Wehr. Er verschwendet, was das Zeug hält, baut blöde Schlösser, versteigt sich in ein heilloses Kunstmäzenatentum und lebt nur nachts wie ein Vampir. Je mehr Ludwig der überweltlichen Prunksucht anheimfiel, desto mehr verehrte ihn sein ahnungsloses Volk der Bayern, welches in seinem exzeßhaften Gebaren bis heute die Insignien wahrer Herrschaft zu erblicken glaubt.

Helmut Berger verkörpert diesen Mensch gewordenen Trotz kongenial. Bis in die Haarwurzel demonstriert Berger jene zickig- blasierte Souveränität, die sich in unzeitgemäß gewordener Verschwendung und zügelloser Selbstverzehrung verwirklicht. Anhand des minutiös in Szene gesetzten körperlich-seelischen Zerfalls Ludwigs zeigt Visconti gnadenlos die Paradigmen eines Epochenwechsels auf. Je mehr die bürgerliche Schattenregierung ökonomisch-kapitalistisch kalkuliert, desto mehr verteilt Ludwig seine Brillanten unter den Chargen. Manfred Riepe

1. Teil Sonntag, 22.15 Uhr, 2. Teil Montag, 21.50 Uhr, ZDF