Diskreditiert sich die Frauenbewegung selbst?

■ „Entfernte Verbindungen“ – eine Abrechnung mit Defiziten des Feminismus

Ein flammender Feuervogel schmückt das Cover, doch von energievollen Aufschwüngen ist in diesem Buch nicht die Rede. „Entfernte Verbindungen“, eine im Orlanda Frauenverlag erschienene Aufsatzsammlung zum Themenkreis „Rassismus, Antisemitismus, Klassenunterdrückung“ (so der Untertitel) ist eine desillusionierende Abrechnung mit den Defiziten der Frauenbewegung.

In sich ergänzenden Beiträgen – biographisch geprägte Essays und Gedichte sind ebenso zu finden wie theoretische und sozialwissenschaftliche Arbeiten – gehen die Autorinnen der Frage nach, wie sich rassistisches Denken und Verhalten in der Frauenbewegung äußert und diese politisch zu diskreditieren droht. Daß es sich hier nicht um individuelle Fehlleistungen, sondern um ein strukturelles Problem handelt, machen die Texte leider nur zu deutlich.

Die Politologin Gülșen Aktaș beschreibt in ihrem Beitrag am Beispiel von Frauenhäusern eindringlich die subtilen und offenen Formen von Diskriminierung. Da fordern deutsche BewohnerInnen getrennte Toiletten. Da nehmen deutsche Mitarbeiterinnen ihre türkische Kollegin vor allem als nützliche „Übersetzerin“ wahr, deren politische Meinung jedoch nicht gefragt ist. Da vollziehen sich all die Machtspiele des Nichternstnehmens und intellektuellen Auftrumpfens, die Frauen von Männern zum Überdruß kennen. Auch Stelle Benhavios Artikel über ihre politische Odyssee als „türkische Staatsbürgerin jüdischer Herkunft in Berlin“ ist ein sarkastischer Bericht über Intoleranz und Vorurteile. Ein Lehrstück über das Freund-Feind-Denken in jenen politischen Zirkeln, die sich besonders fortschrittlich wähnen. Daß sich die Mißachtung von „Abweichlerinnen“ nicht nur in K-Gruppen, sondern auch in Kreisen der einst für ihre Offenheit gerühmten Frauenbewegung ereignet, war für die Autorin eine besonders ernüchternde Erfahrung.

Wie hochemotionalisiert sich die Debatten abspielen, sobald Rassismus und Antisemitismus thematisiert werden, beschreibt der Beitrag Maria Baaders: „Über den Versuch, als jüdische Feministin in der Berliner Frauenszene einen Platz zu finden“. Anstatt sich auf die konkrete politische Diskussion einzulassen, brechen deutsche, weiße, christliche Frauen unter Verweis auf ihre Schuld- und Schamgefühle und die eigene Überforderung die Debatte lieber ab. „Die Anderen“, Immigrantinnen, afrodeutsche Frauen, Jüdinnen, werden als Störenfriede für die eigene Seelenruhe empfunden. Daß mit dem beleidigten, genervt- aggressiven Rückzug aber auch Chancen vertan werden, den Erfahrungshorizont zu erweitern, neue Erkenntnisse zu gewinnen, Dogmen zu überwinden, versucht Orlanda-Verlegerin Dagmar Schultz deutlich zu machen. Vehement plädiert sie für die Wahrnehmung von Unterschieden und für persönliche Offenheit und Verantwortung als Voraussetzung für politisch tragfähige Bündnisse zwischen weißen Frauen und den Frauen der Minderheiten.

Warum aber scheint es insbesondere der deutschen Frauenbewegung so schwer zu fallen, sich antirassistischer Kritik zu stellen? Vor allem gibt es wohl angesichts der deutschen Vergangenheit eine sozialpsychologisch motivierte Sperre. Die auch in der Linken verbreitete Selbsttäuschung – weil ich diese Gesellschaft kritisiere, bin ich ihr eigentlich nicht zugehörig – verhindert Selbstreflexion. Denn: bisher waren letztlich immer die Männer für das Übel in der Welt verantwortlich. Warum sollten Frauen dann plötzlich auf der Anklagebank sitzen? Das berührt fundamental das eigene Selbstbild.

Sollte der weiße, westliche Feminismus unter den gleichen Strukturen der Ausblendung leiden, die an den andro- und eurozentristischen Theorien immer kritisiert wurden? Christina Thürmer-Rohr stellt in ihrem Beitrag zu den epochalen Veränderungen der letzten Jahre eine ganze Reihe beunruhigender Fragen. Kann der westliche Feminismus weiterhin die Herrschaftsbeziehung von Männern über Frauen als das alleinige Modell für Unterdrückung ansehen? Muß sich Feminismus um seiner Glaubwürdigkeit willen künftig auf das Ressort „Sexismus“ im engeren Sinne beschränken, also auf die sexuellen Ausbeutungs- und Gewaltverhältnisse?

„Entfernte Verbindungen“ sind eine so anstrengende wie wichtige Lektüre, sie verdienen aber auch kritische Anmerkungen. Die mehrfach genannte Aufforderung, in politischen Zusammenhängen die eigenen Lebensumstände umfassend offenzulegen, erscheint mir zwiespältig. Das kann eben auch in Offenbarungszwang und Bigotterie umkippen. Außerdem bleibt der im Untertitel genannte Begriff der Klassenunterdrückung mehr oder minder im Raum stehen, bekommt so etwas Plakatives. Und allzu pauschal ist von „der“ Frauenbewegung die Rede. Es ist aber von erheblicher Bedeutung für die anvisierte „Bündnispolitik“, ob ich es mit Vetreterinnen einer pragmatisch orientierten, sozialdemokratischen Politik zu tun habe, deren Beschränkung auf Gleichstellung kritisierenswert sein mag, die aber sehr wohl fähig sind, die Diskriminierung von Frauen anderer sozialer Lage wahrzunehmen. Oder ob ich mich auf eine subkulturelle, großstädtische Frauenszene beziehe, die ihre eigenen Rituale entwickelt hat, wie ihre Mitglieder sich zu verhalten haben. Und die mit Unterschieden ohnehin mehr schlecht als recht umzugehen vermag. Helga Lukoschat

„Entfernte Verbindungen. Rassismus, Antisemitismus, Klassenunterdrückung“. Hrsg. von Ika Hügel, Chris Lange, May Ayim, Ilona Bubeck, Gülșen Aktaș, Dagmar Schultz. Orlanda Frauenverlag, Berlin 1993, 29,80 DM