Die Wirklichkeit soll unrecht haben

■ Eine Empfehlung zum unbewaffneten Abokampf

Die 68er, mit denen in der heutigen taz viel die Rede ist, haben die Bundesrepublik demokratisiert: so geht die Legende, die vermutlich, wie alle anderen Legenden, von schönerer Einfachheit ist als die Wirklichkeit. Daß jegliche Entwicklung in Widersprüchen erfolgt, hat auch diese „Bewegung“ gezeigt, aus der viele weitere entstanden: auf die Straße und in die Institutionen, in die Frauenhäuser, die Teestuben, die Hochsicherheitstrakte und Selbsterfahrungsgruppen – und in diese Zeitung. Obwohl die taz kein Projekt der 68er ist, tritt sie in vielfacher Hinsicht deren unordentliches und deshalb lebendiges Erbe an: die Hoffnung, daß Geschichte machbar sei, ist immerhin noch nicht ganz versunken ...

Es ist Vor- und Nachteil einer Tageszeitung, daß für moralische Bilanzen wenig Zeit ist. Hin und wieder, wenn die Abokalypse droht (wie im letzten Herbst, als der erste Kettenbrief – „Keine taz mehr? Ohne mich!“ – erschien), erfaßt mit den SympathisantInnen auch die Redaktion eine unabweisbare kleine Rührung: ist es doch auch erstaunlich, daß dieses selbstverwaltete Projekt, das so viele inzwischen halb oder umfassend gescheiterte Utopien zu verwirklichen angetreten ist, immer noch arbeitet (statt funktioniert). Aber für längere Erwägungen historisch-sentimentaler Art fehlt das Sofa, und den immer wieder drohenden Nachruf abzuwenden ist doch noch wichtiger, als ihn zu schreiben. Außerdem wartet die Geschichte nicht, bis wir mit der Einkehr fertig sind: kaum ist die zivile Gesellschaft ausgelobt, brennen Asylbewerberheime, kaum ist „Mitteleuropa“ kongreß- und festredenmäßig etabliert, kann es als Vorbild für Goyas „Schrecken des Krieges“ dienen, kaum ist Sandoz den Rhein hinunter, liefert Hoechst am Main die nächste schwarze Serie. Die Verwertung des Unglücks ist Tageszeitungsgeschäft, die guten machen Aufklärung daraus. Aufklärung – und Eingriff: im Gegensatz zu anderen Periodika, die sich bedächtiger irren, kann eine Tageszeitung auch Kommunikationsmittel sein – geeignet für schnelle Verständigung, für sofortige Information, für kurzfristige Aktion.

Die Bundesrepublik kann davon viel gebrauchen. Daß härtere Zeiten kommen, gilt allgemein – sogar in Bonn – als ausgemacht. Zu wessen Lasten diese gehen, ist es noch nicht. Das Gezerre um das Grundrecht auf Asyl, die Abdankung der Politik in Rostock, die Regierungsposse in Karlsruhe, der Tarifbruch für die neuen Länder zeigen an, daß die entschlossene Hilflosigkeit der sogenannten politischen Klasse Raum gibt für Alternativen. Bis zur Bundestagswahl im nächsten Jahr steht nicht nur die Diskussion einer Ampelkoalition auf der Tagesordnung – sondern auch der Entscheid zum § 218, der „Atomkonsens“, die Kampagne zur Doppelstaatsbürgerschaft und andere Kleinigkeiten. Während man immer wieder gern die Krise der Linken auf die Leitartikler-Tagesordnung setzt, bleibt die Krise der Rechten meist unerwähnt: die Wirklichkeit hat recht. Deshalb muß sie verändert werden.

Ohne ein Kommunikationsmittel all derer, die über Alternativen nachdenken, wird es nicht gehen. Die taz ist dafür das wichtigste Medium – und ist so stark, wie ihre LeserInnen sie machen. Deshalb die neue Abokampagne und unser Kettenbrief: die taz, deren Finanzierung fast ausschließlich von ihrer Auflage abhängt, ist auf sie angewiesen. Die Redaktion braucht Abonnements, um ihre Arbeitsmöglichkeiten zu verbessern: um weitere Schwerpunkte zu entwickeln, KorrespondentInnen die Reisen zum Ort des Geschehens zu ermöglichen, um die im letzten Jahr an zwei Wochentagen eingeschränkte Seitenzahl wieder zu erhöhen und die allfälligen Hintergrundberichte und Reportagen aus dem Kosovo, aus Warschau und Sarajevo, aber auch aus Karlsruhe und Leipzig, drucken zu können. Wir sind in der wahrhaft absurden Situation, Berichte unserer KorrespondentInnen, die über die notwendige Unglücksverwertung hinausgehen, immer wieder nicht drucken zu können, weil das Geld für Papier und Druck nun mal nicht in der Kasse ist. Wir leben in Absurdistan. Aber wenn es schon jeden Tag so weitergeht – dann wenigstens mit der taz. Täglich. Elke Schmitter