Ein Drehbuch soll ja auch schön zu lesen sein

■ Gespräch mit dem Satiriker und Künstler Ernst Kahl, der das Buch zum Film „Wir können auch anders“ geschrieben hat

taz: Daß du Satiriker, Maler, Zeichner und Musiker bist, hat sich rumgesprochen. Aber daß Du auch Schauspieler bist?

Ernst Kahl: Das hab ich auch nicht gewußt. Aber ich fand die Rolle des Heinz Dammlers schon beim Schreiben so witzig — doch Buck sagte, das sei unglaublich schwer zu besetzen. Dann habe ich das einfach mal gespielt, bin beim Schreiben ein bißchen rumgetorkelt, so kam's. Aber das ist wirklich schwierig, denn ich bin ja stocknüchtern bei dem Dreh. In der Kneipe sieht man uns zwar beim Bier — aber das ist alles „Fun“ oder „Light“ oder wie das heißt.

Ich finde Dich großartig als „Getränksmann“, allein die Fußstellung....

Das ist ja witzig, daß Du das merkst. Nur so hab ich den Watschelgang hingekriegt: Besoffen, aber doch diszipliniert. Ganz überzeugend, nicht? In der Presse bin ich dafür auch gelobt worden: Für die „brillanteste Performance in einem Europäischen Film“. Mir wurde dafür der „Blaue Bengel“ verliehen.

Eurem Presseheft ist zu entnehmen, daß Ihr aber doch jemanden betrunken gemacht habt: Viktoria von Teschendorf nämlich, das Schwein. Stimmt das?

Ja, das ist wahr. Das klingt so inhuman (witziges Wort im Zusammenhang mit Tieren, nich'?) — aber das ist immer noch besser als eine Knockout-Spritze.

Haben sich die Tierschützer nicht gerührt, was Ihr mit dem Schwein macht?

Das ist doch harmlos. Das Schwein lebt heute noch. Normalerweise läge die süße Viktoria doch schon längst als Braten auf dem Tisch. Aber so ist sie Muttersau geworden und erfreut sich zwölf gesunder Ferkel.

Hat sie nach dem Film tatsächlich Verehrerpost bekommen, wie Ihr vermutet habt?

Es sitzen ja immer mal ein paar Schweine in den Kinos, das weißt Du ja. Die haben dann Hüte auf, führen sich auch immer so auf — aber die sitzen ja meistens in den anderen Kinos, in anderen Filmen — insofern...

Genau, deshalb laß' uns jetzt lieber über Euren Film reden. Dazu gibt es ja auch ein Buch, das hast Du geschrieben. Wer kauft denn so etwas und kann man damit überhaupt etwas anfangen, wenn man nicht gleichzeitig die wunderschönen Bilder von Kipp und Most sieht?

Also bislang bin ich wegen dieses Buches sehr gelobt worden, weil es eben nicht nur Drehbuch ist. Aber in diesem Buch werden auch die Anekdoten von den Dreharbeiten beschrieben — also z.B. die Geschichte von „Viktoria“. Viktoria taucht ja später im Wald nochmal auf, inmitten einer Wildschweinrotte.

Als Exot...

Ja, Du denkst auch, es ist das gleiche Ferkel — stimmt aber nicht, es ist ein Double. Denn während Viktoria bei uns auf dem Dreh- Camp war, wurde irgendwo auf einem Bauernhof ein gleichaltriges Ferkel an Wildschweine gewöhnt und umgekehrt. Anders hätte man das nicht hinkriegen können.

Das gleiche Schwein hätte gar nicht beide Rollen spielen können?

Nein! Es ist ein unglaublicher Aufwand, Wildschweine an ihre weißhäutigen, zivilisierten Verwandten zu gewöhnen: Die beißen es tot oder zumindestens weg. Der Bauer mußte die Wildschweine auch mittels Alkohol an das kleine Double gewöhnen und umgekehrt.

Habt Ihr so eine neue Art von Tierliebe kennengelernt?

Über Bier dokumentiert man keine Tierliebe. Aber Schweine trinken unheimlich gerne Bier. Wenn du denen zwei Tröge vor die Rüssel setzt, in einem Bier, im anderen Wasser — dann nehmen sie sofort den Trog mit Bier. Das enthält ja auch viel mehr Nährwert, hat so eine schöne berauschende Wirkung - dann werden die übermütig.

Euer Rudi (genannt „Kipp“) präsentiert sich ja auch als Schweine-Experte. Habt Ihr dafür extra recherchieren müssen?

Über Schweine weniger, aber der Junge hat ein paar Tage in einem Heim für geistig Behinderte gelebt, um sozusagen zu „studieren“, wie die Leute reden, welche Gebärdensprache sie haben, welche Mimik usw.

Der Kipp sollte bewußt aus einem Behindertenheim kommen?

Das war die Ausgangsposition. Buck hat seinen Zivildienst in so einem Heim gemacht, er wußte deshalb auch schon einiges. Übrigens ist der Film von Sprachpädagogen sehr gelobt worden. In manchen Kreisen gilt er als behindertenfeindlich, dabei werden in dem Film behinderte Leute in keinster Weise lächerlich gemacht. Der Kipp ist sehr gut beobachtet und Joachim Krol spielt ihn sehr überzeugend.

Der Ausgangspunkt war: Ein Mann steht mit einem Beerdigungskranz an einer Wegeinfahrt. Das war die Idee, die Buck einmal hatte und davon wollte er nicht loslassen. Und ich habe mich darauf eingelassen.

Wie lief denn Eure Zusammenarbeit bei dem Buch? Im Presseheft steht „in beschaulichen Stunden“,

Beschaulich überhaupt nicht: Das war ein halbes Jahr harte Arbeit. Sie sind zwar Kunstfiguren, müssen aber trotzdem authentisch und glaubwürdig bleiben. Wir haben eine Biographie für die beiden entwickelt und irgendwann waren sie richtig lebendig, waren mitten im Raum, wenn wir geschrieben haben. Die haben uns diszipliniert.

Und dann habt Ihr die beiden auf einen Weg geschickt. Wie habt Ihr dabei gearbeitet, Du die Sprache, Buck die Bilder?

Das ist eine witzige Form von Zusammenarbeit: Buck sitzt immer, ich gehe immer auf und ab und laber' und Buck schreibt auf und sondiert. Dann streiten und einigen wir uns über eine Szene (geht das oder geht das nicht), Buck tippt sie ab und ich redigiere das — denn ein Drehbuch soll ja auch schön zu lesen sein. Und irgendwann ist es fertig.

Also richtige Teamarbeit.

Kann man sagen: Ich bin der Freund spontaner Einfälle und Buck nimmt praktisch die ganzen „Eier“ in sein Nest und brütet drauf, und am nächsten Tag stellt sich dann ganz schnell raus, daß Windeier dabei sind. Mittlerweile bedauern wir allerdings, daß die eine oder andere Idee nicht doch im Film aufgetaucht ist. Eine tabula rasa-Szene hätte der Film z.B. vertragen können.

Im Zusammenhang mit dem Film wird überall Detlev Buck gefeiert. Ist das nicht ein bißchen traurig für Dich, höchstens in Nebensätzen aufzutauchen?

So leb' ich doch schon seit langem. Irgendwie finde ich das auch ganz schön, denn was Buck macht, ist ja auch mit Streß verbunden. Wenn ich mal Regie machen sollte, würde ich diese Ochsentour nicht machen. Die Hauptarbeit des Regisseurs scheint ja nun darin zu bestehen, Interviews zu geben. Ich würde mir für die Promotion ein Double zulegen. Da bleib ich lieber bescheiden im Hintergrund,

...und tauchst nur kurz als Getränksmann auf. Weshalb eigentlich „Getränksmann?“

Das ist ein Schnack aus dem Norddeutschen. Eigentlich heißt es ja Trunkenbold, aber Getränksmann hat so etwas Vornehmes.

Gespräch: Birgitt Rambalski

Ernst Kahl , Angaben zur Person: 1949 in Rio de Janeiro geboren — sagt er und außerdem: u.a. Hausmaler, Lehrer auf einer Hallig, Kunstmaler in Dänemark, Leben in Saus und Braus auf Tröndel in Ostholstein.

Veröffentlichte („nebenbei“) in Stern, Pardon, Titanic, Natur uvm. seine Zeichnungen, Bilder und kleinen Geschichten. Er war Chefredakteur und Artdirector der „Seite für das aufgeweckte Kind“ in Konkret. Bücher: „Das Räubermärchen“ (1982), „Mäxchen“ (1982), „Meyers Buch vom Menschen und von seiner Erde“ (1983), „Schule des geraden Sehens“ (1987), berüchtigt: „Bestiarum Perversum“ (1989), „Die Kahlschläge“ (1989).

Zusammen mit Hardy Kayser Mitbegründer der „Trinkenden Jugend“, deren Leadsänger er ist. Zusammen intonieren sie das Lied „Kleiner Vogel“ im Film „Wir können auch anders“.

Kahls Hobbies: Vor- und Frühgeschichte und Rauchen