Umweltpolitische Kehrtwende bei den Sozis

■ Umweltminister Klaus Matthiesen will Industrie künftig belohnen statt strafen / Strategiepapier „Umweltverwaltung 2000“ beschreibt Richtungsänderung

Düsseldorf (taz) – Die nordrhein-westfälische SPD-Landesregierung will in der Umweltpolitik offenbar eine grundlegende Richtungsänderung einschlagen. Dies geht aus einem der taz vorliegenden Strategiepapier von Landesumweltminister Klaus Matthiesen (SPD) hervor. In diesem 27seitigen Papier mit dem Titel „Umweltverwaltung 2000“ wird die geltende Umweltgesetzgebung mit ihrer „detaillierten Regelungsdichte“ als Hemmschuh für den ökologischen Fortschritt bemängelt und massiv in Frage gestellt. Durch die „komplizierten Rechtsvorschriften“ seien „nicht nur die Umweltverwaltungen, sondern auch die betroffenen Unternehmen und Betriebe überfordert“.

Die Industrie liegt Matthiesen erkennbar am Herzen: „Nur eine leistungsfähige Wirtschaft ermöglicht es, ökologische Innovationen und damit auch den Umweltschutz zu finanzieren.“ Teile der staatlichen Umweltverwaltung sollen nach den Plänen „auf die Betreiber und Produzenten selbst“ übertragen werden.

Ausgerechnet Umweltminister Matthiesen, der in der Vergangenheit wegen seiner angeblichen „Reglementierungswut“ unter dem Dauerbeschuß großer Teile der Düsseldorfer Landtagsopposition stand, will nach zehnjähriger Amtszeit an Rhein und Ruhr erkannt haben, daß der „notwendige Fortschritt“ im Umweltschutz „mittlerweile durch die Art, die Fülle und das Änderungstempo vor allem von Bundes- und EG- Umweltvorschriften gebremst“ werde. Deshalb propagiert der 52jährige SPD-Politiker, der als ein entschiedener Gegner rot-grüner Regierungsbündnisse gilt, ein neues Prinzip der Umweltpolitik: Belohnen statt strafen.

Damit unterscheidet sich Matthiesen, dessen Umweltpolitik für die bundesdeutsche Sozialdemokratie bislang als ebenso richtungsweisend wie bahnbrechend galt, allenfalls noch graduell von den Konservativen und der Industrielobby. Die Kernaussagen des im Düsseldorfer Umweltministerium erstellten und dem Vernehmen nach von Matthiesen ausdrücklich autorisierten Strategiepapiers könnten ebenso aus der Feder von Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) stammen.

Wie sein Duz-Freund Töpfer ist Matthiesen nunmehr zu der Auffassung gelangt, daß „mit weniger bürokratischer und gesetzlicher Reglementierung, mit einer Neuverteilung von Verantwortung zwischen Produzenten und überwachenden Verwaltungen in Zukunft mehr für die Ökologie getan werden kann als mit dem bisherigen Regelwerk.“ Dieses Regelwerk habe inzwischen auf allen Ebenen der Umweltgesetzgebung „ein Ausmaß angenommen, das den ökologischen Fortschritt teilweise blockiert, weil Neuerungsmöglichkeiten oft in den langwierigen und komplizierten Prozeduren von Zulassungs- und Genehmigungsverfahren hängen“ blieben.

Konkret strebt Matthiesen neben einer drastischen Beschleunigung der Zulassungs- und Genehmigungsverfahren eine Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes sowie des Abfallrechtes an. Danach soll das Genehmigungsverfahren „für wesentliche Änderungen von Industrieanlagen vereinfacht“ werden. So soll künftig eine Produktionsanlage, die unter das Immissionsschutzgesetz fällt, künftig auch dann „bereits errichtet und probeweise in Betrieb genommen werden“ können, „wenn die endgültige Genehmigung noch nicht vorliegt“. Bei der serienmäßigen Herstellung von Anlagen soll künftig eine „generelle Bauartzulassung“ genügen, so daß eine konkrete Standort-Genehmigung entfällt. Gerade nach der jüngsten Unfallserie beim Chemie-Riesen Hoechst dürften diese Matthiesen- Vorstellungen für einige Brisanz innerhalb der SPD sorgen.

Dem Strategiepapier zufolge soll ferner bei der Errichtung von Abfallentsorgungsanlagen (Behandlungsanlagen und Zwischenlager) das bislang nach dem Abfallgesetz vorgeschriebene Planfeststellungsverfahren mit den Einwendungen der betroffenen Anwohnerschaft ersatzlos abgeschafft werden. Es soll nurmehr bei der Errichtung von Deponie-Betrieben gelten. Darüber hinaus will der NRW-Umweltminister eine „Entbürokratisierung“ des bundeseinheitlich geregelten Wasserhaushaltsgesetzes, des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und des Abfallgesetzes durchsetzen.

„Wir müssen in der Umweltgesetzgebung weg von der Folgenbegrenzung und noch stärker hin zur Ursachenbekämpfung“, heißt es in dem Papier. Dahinter steckt offenkundig Matthiesens neue Philosophie, Unternehmen nicht länger unter Androhung von Strafen zur Einhaltung bestimmter Umweltgesetze und -auflagen zu zwingen, sondern sie für eine sparsame Energie- und Ressourcenwirtschaft steuerlich zu belohnen. Originalton Matthiesen: „Wir wollen dabei erreichen, daß künftig mit noch weniger Energie, mit noch weniger Emissionen, mit noch weniger Abfällen und mit noch weniger Flächenverbrauch umweltverträglich produziert wird.“

Hinter Matthiesens Schlagwort von einem „effizienten öffentlichen Umweltmanagement“ verbirgt sich nach Einschätzung von Verwaltungs-Fachleuten nichts anderes als ein großangelegter Personalabbau bei den Umweltbehörden, der dem Umweltminister offenbar von Landesfinanzminister Heinz Schleußer (SPD) im Rahmen der Einsparmaßnahmen aufoktroyiert worden ist. Erst vor wenigen Wochen mußte Matthiesen einräumen, daß im Rahmen einer „umfassenden Neuorganisation“ bei den nordrhein-westfälischen Umweltbehörden langfristig rund 1.000 Mitarbeiter abgebaut werden. Bei den Grünen steht der Düsseldorfer Umweltminister gar im Verdacht, mit seinen Plänen zur „Lockerung der Kriterien“ für die Genehmigung und Überwachung von industriellen Großanlagen „die Gewerbeaufsicht zerschlagen“ zu wollen, wie die Landtagsabgeordnete Mariane Hürten mutmaßt.

Dabei arbeitet Matthiesens Umweltverwaltung bislang nicht eben effektiv. Ein von dem Minister selbst in Auftrag gegebenes und vor wenigen Tagen durch eine Indiskretion bekannt gewordenes Gutachten der renommierten Unternehmensberatung Kienbaum kam zu dem Ergebnis, daß in den nordrhein-westfälischen Umweltbehörden durch personelle Überbesetzung und eine überbordende Bürokratie Millionen von Steuergeldern vergeudet würden.

Matthiesen freilich zieht aus der mangelnden Schlagkraft seiner nach Einschätzung von Experten ziemlich schlapp agierenden Umweltbehörden einen ganz anderen Schluß: „Wir können im Rahmen der Umweltnachsorge, wo Fragen der Emissionen und Fragen der Reststoffe und Abfälle erst am Ende des Produktionszyklus die Aufmerksamkeit der regulierenden Verwaltung finden, keine entscheidenden Fortschritte mehr erzielen.“ Fazit: „Der Aufwand wird immer höher, die Effekte werden immer geringer“, heißt es erkennbar resignierend im Düsseldorfer Umweltministerium. Jetzt setzt Matthiesen auf eine umweltpolitische Kehrtwende in dem größten industriellen Ballungsraum Europas: „Wir müssen deshalb die Umweltgesetzgebung des Bundes und der EG sowie die Umweltverwaltung in NRW in ihren Zielen und Strukturen neu ausrichten.“ Johannes Nitschmann