Ein antimedialer Schutzwall

■ In Portugal streiken die ParlamentsjournalistInnen

Lissabon (taz) – Portugals ParlamentarierInnen brauchen seit drei Wochen nicht mehr auf die Öffentlichkeitswirksamkeit ihrer Debattenbeiträge zu achten. Die Bevölkerung erfährt nichts davon. Der Grund: Die beim Parlament akkreditierten JournalistInnen boykottieren seit 24.März die Parlamentsdebatten. Was im Parlament debattiert wird, kommt in den Medien nicht vor.

Damit protestieren sie gegen die neuen Sicherheits- und Zutrittsbestimmungen der Volksvertretung. Bisher reichte es aus, wenn die JournalistInnen am Eingang zum Parlamentsgebäude ihre Akkreditierungsausweise vorzeigten, und dann konnten sie sich frei im ganzen Haus bewegen. Doch das geht nun nicht mehr. Zutritt haben sie nur noch zur Pressetribüne und zum Pressesaal. Die Flure vor den Fraktions- und Abgeordnetenbüros sind tabu. Aus Sicherheitsgründen und „weil die Abgeordneten ein Recht auf ihre Privatsphäre haben“, sagt Parlamentspräsident Barbosa de Melo.

Vicente Jorge Silva, Chefredakteur der Lissaboner Tageszeitung Público, sieht das anders: „Ein schweres Attentat auf die Informationsfreiheit“, nennt er die Restriktionen. Und in der Tat: Früher fungierten die Flure als Informationsbörse. Abgeordnete und JournalistInnen standen dort beisammen, plauderten, und für die Medienleute sprang manch nützliche Information dabei heraus. Jetzt stehen am Anfang der Flure große Tische, und dahinter sitzen Parlamentsdiener. Diese Tische fungieren als Filter: Will ein Journalist einem Abgeordneten auch nur eine kurze Frage stellen, muß er dort vorsprechen, der Parlamentsdiener fragt telefonisch an, ob der Abgeordnete mit dem Journalisten sprechen will. Häufig will er nicht. Beschlossen wurde die Regelung von der mit absoluter Mehrheit regierenden Sozialdemokratischen Partei (PSD). Ihr politischer Kurs weist sie allerdings als konservativ- liberal aus. Die drei Oppositionsparteien stimmten geschlossen dagegen. Die PSD will mit Hilfe der neuen Regelung dissonante Stimmen in den eigenen Reihen zum Schweigen bringen: Abgeordnete, die auf dem Flur, zwischen Tür und Angel, schon mal „das Falsche“ sagten und die Politik der eigenen Regierung kritisierten.

Ausgedacht hat sich die Informationsbarriere der stellvertretende PSD-Fraktionsvorsitzende José Pacheco Pereira, eine schillernde Figur. Seine politische Karriere begann er in der Kommunistischen Partei. Dann war er Mitbegründer des Clubs der Liberalen Linken. 1985 unterschrieb er einen Intellektuellen-Appell für die Wahl des damaligen Generalsekretärs der Sozialistischen Partei (PS), Mário Soáres, zum Staatspräsidenten, und seit 1988 ist er Mitglied der PSD des wirtschaftsliberalen Ministerpräsidenten Anibal Cavaco Silva. Seine Gegner sagen jedoch, er habe sich „von seiner stalinistischen geistigen Struktur nie befreien können“, wie kürzlich die Wochenzeitung Expresso in einem Pereira-Porträt schrieb. Público-Chefredakteur Silva setzt noch eins drauf: Pereira entfalte „inquisitorische Obsessionen beim Errichten einer Berliner Mauer im Parlament, einem Haus, das offen und transparent sein sollte“. Theo Pischke