Drinnen Kollwitz, draußen Paradeschritt

■ Stefan Koldehoff sprach mit Jutta Bohnke-Kollwitz über den Berliner Skulpturenstreit

22,5 mal 25 mal 20,5 Zentimeter mißt die Käthe-Kollwitz-Bronze „Zwei Soldatenfrauen“, die auf dem Schreibtisch des promovierten Historikers Helmut Kohl steht. Die kleine Skulptur, von der Künstlerin ursprünglich als Anna Selbdritt mit einer später weggelassenen Kinderfigur konzipiert, inspirierte den Kanzler in Bonn zu einem eigenen innenarchitektonischen Entwurf: Er setzte im Bundeskabinett durch, daß künftig auch in der neuen nationalen Gedenkstätte des deutschen Volkes, der von Schinkel gebauten und von Tessenow ausgestalteten Neuen Wache Unter den Linden in Berlin, eine Kollwitz- Skulptur stehen soll – erheblich vergrößert allerdings. 1,52 Meter wird die in Bronze gegossene Replik der ursprünglich nur 38 Zentimeter großen Bronze „Frau mit totem Sohn“ von 1937/38 messen. Das kunsthistorische Experiment, über dessen Gelingen oder Nichtgelingen nach Fertigstellung der Großkopie entschieden werden soll, wird 750.000 Mark kosten. Seit Bekanntwerden der Kanzler-Anordnung wird über das Für und Wider dieser Gestaltungsidee heftig debattiert.

Mit der Vorstellung, zwei ihrer Skulpturen in der damals noch „Ehrenhalle“ genannten Neuen Wache Unter den Linden aufgestellt zu sehen, hatte Käthe Kollwitz sich schon 1932 auseinandergesetzt. Am 16. April des Jahres notierte sie über die damals betroffenen Skulpturen ihrer Eltern in ihr Tagebuch: „Wo man die Figuren hier in Berlin aufstellt? In der Akademie will ich nicht, das ist zu akademisch. Im Schillerpark, wie Nagel vorschlägt, haben sie keinen Konnex mit der Umgebung. In die Ehrenhalle – dagegen habe ich etwas Hemmung wegen der Beschlagnahmung von rechts. Außen haben sie keine Bewachung und können mit Hakenkreuzen beschmiert werden oderbeschädigt werden. Also das ist noch ungelöst.“

Für die „Frau mit totem Sohn“ hat die Bundesregierung die Probleme der Künstlerin jetzt gelöst. Der Termin für die Einweihung der Skulptur steht bereits fest: Sie soll – der Kanzler mag's symbolisch – am Volkstrauertag, dem 14. November dieses Jahres, stattfinden. Nötig war dafür vor allem das Einverständnis der Kollwitz-Erben. Drei ihrer vier Enkel leben noch: die Zwillinge Jutta und Jurdis und ihr Bruder Arne-Andreas. Sie haben sich bisher zum Streit um die Skulptur von Käthe Kollwitz nicht öffentlich geäußert. Mit Dr. Julia Bohnke-Kollwitz (69), die ihre Großmutter bis zu deren Tod im April 1945 noch pflegte und auch die Tagebücher und Briefe von Käthe Kollwitz herausgegeben hat, sprach Stefan Koldehoff.

taz: Ihre Großmutter hatte Bedenken gegen die Neue Wache. Was hat dazu geführt, daß die Erben jetzt trotzdem ihr Einverständnis zur Aufstellung der vergrößerten Pietà gegeben haben.

Dr. Jutta Bohnke-Kollwitz: Wir haben schon relativ früh von dieser Überlegung erfahren, darüber diskutiert und all die Fragen, die heute auftauchen, auch für uns überlegt. Wir haben uns dann unter dem Eindruck für das Projekt entschieden, daß es im Sinn von Käthe Kollwitz wäre, mit dem, was ihr im Leben das Wichtigste war, nämlich mit ihrer pazifistischen Überzeugung, also dem Bekenntnis „Nie wieder Krieg“ an einer so sichtbaren Stelle präsent zu sein. Vieles von dem, was jetzt zitiert wird, ist unter völlig anderen Umständen entstanden. Käthe Kollwitz hat 1932 die Figuren für das Grabmal des gefallenen Sohnes dort nicht haben wollen, weil die ganze Ausstattung an der Neuen Wache damals mit Eichenkranz und schwarzem Marmor in einer Weise preußisch-militaristisch war, so daß sich ihre trauernden Figuren wirklich wie verirrt vorgekommen wären. Jetzt ist von einer absolut neuen Ausstattung die Rede. „Das Feld der Ehre“ und „Unter Stahlgewittern“ – das ist doch nicht mehr unser Verhältnis zum Krieg. Und die Toten der heutigen Kriege sind nicht mehr „in stolzer Trauer Gefallene“, das sind einfach Millionen von Opfern und Müttern und Kindern. Ich finde einfach, daß das in dieser Plastik wunderbar zum Ausdruck kommt – sehr viel stärker, als es in einer modernen ungegenständlichen Plastik gesagt werden könnte. All diese Geschichten, auch das Tessenowsche Loch, das Walter Jens so propagiert, benötigen eine Interpretation. Das braucht die Kollwitz nicht. Ihre Skulptur ist steingewordene Trauer und Verlust und Liebe und Nachsinnen über das, was geschehen ist.

Käthe Kollwitz selbst hat in ihrem Tagebuch geschrieben, die Mutter sinne darüber nach, daß der Sohn auf ihrem Schoß im Leben nicht angenommen worden ist. In der Nationalen Gedenkstätte in Berlin erführe der von der Gesellschaft als Lebender nicht angenommene Sohn eine kollektive Institutionalisierung. Das widerspricht sich doch auch inhaltlich.

Das kommt auf die Funktion dieser Gedenkstätte in der Zukunft an. Wenn es dort mit Stechschritt weitergeht, die Vergangenheit dort weiterlebt – und das weiß man natürlich nicht, weil man auch nicht weiß, wie weit sich da das Geschichtsverständnis des Bundeskanzlers durchsetzen wird –, kann es sich widersprechen. Wenn die Neue Wache aber ein Ort wird, an dem einfach in Trauer der deutschen Geschichte gedacht werden soll, meine ich, daß die „Mutter mit dem toten Sohn“ dort durchaus ihren Platz hat.

Auf einem Stuttgarter Friedhof gibt es schon eine Vergrößerung der Skulptur. Ihre Mutter hatte damals Bedenken dagegen.

Die waren technischer Art. Sie hat in Briefen an ihren Sohn Hans, unseren Vater, der gegen die Vergrößerung war, darüber geschrieben. Ich habe diese in Stein gehauene Skulptur bislang nur auf Fotos gesehen, und dort überzeugt sie nicht sehr. Sie ist schon ziemlich gesprungen, kaputt, an den Beinen scheinen ganze Teile herausgebrochen. Dem hat Käthe aber zugestimmt, weil sie dem Vater, der sich das Werk für das Grab seines an einer Kriegsverletzung gestorbenen Sohnes wünschte, gern den Gefallen tun wollte. Es gibt einen noch unveröffentlichten Brief, in dem sie schreibt, sie wolle die Zusage geben, obwohl mein Vater damals schon abgesagt hatte. Käthe Kollwitz hat das also selbst in die Hand genommen. Sie wäre nicht prinzipiell gegen eine Vergrößerung dieser Plastik gewesen.

Ihre Mutter fürchtete zu Lebzeiten neben den technischen Schwierigkeiten, was die Neue Wache angeht, auch eine „Beschlagnahmung von rechts“. Sehen Sie diese Gefahr heute nicht?

Ich sehe diese Äußerung nicht bezogen auf Rechtsradikalismus oder Nazismus, sondern mehr darauf, daß sie die Skulpturen ihrer Eltern nicht an dem Ort haben wollte, wo mit dem Tessenowschen Eichenlaubkranz auf eine völlig andere Weise gedacht wurde.

Die Aufstellung ist bereits beschlossene Sache. Offiziell heißt es aber noch, daß abgewartet werden soll, ob die Vergrößerung gelingt. Was heißt das?

Wir als Familie werden im Mai den Guß, der schon in Arbeit ist, abnehmen und sehen, ob er überzeugend oder korrekturbedürftig ist. Die Skulptur soll in Berlin etwas unterhalb der Augenhöhe stehen. Ich habe ein Foto des Modells im dortigen Kollwitz-Museum gesehen, auf dem mir die Sache wie ein sakraler Ort vorkam. Das soll es ja nicht sein, ich halte es für eine Gefahr. Ich hoffe auch, daß man vom Begriff der „Pietà“ wieder herunterkommt. Die „Mutter mit dem toten Sohn“ soll einfach ganz human wirken und in keiner Weise irgendwie religiös überhöht.

Dabei wird sicher die Beleuchtung eine wesentliche Rolle spielen. Möchten Sie sich eine Kollwitz-Skulptur im Fackelschein vorstellen?

Ich halte das wie Sie für einen heiklen Punkt. Die „Mutter mit dem toten Sohn“ darf nicht zu sehr herausgehoben werden, aber auch nicht zu sehr im Dämmern verschwinden. Ich weiß nicht, wie das gelöst werden wird, auch nicht, welche Dimensionen die Skulptur haben wird, wo genau sie stehen soll, wie die frontale Ansicht sein wird. Das muß man alles ausprobieren.

Werden Sie Einfluß auf die äußere Gestaltung und auf den Umgang mit der Gedenkstätte geltend machen?

Es wird sich zeigen, in welchem Maße das möglich ist und ob man dann womöglich sagen müßte, unter diesen Umständen kommt das nicht in Frage. Aber ich hoffe doch einfach auf die Einsicht, daß man nicht drinnen die „Mutter mit dem toten Sohn“ aufstellen kann und draußen marschieren Soldaten mit Paradeschritt.

Käthe Kollwitz: „Die Tagebücher“. Herausgegeben von Jutta Bohnke-Kollwitz, 960 Seiten mit 100 Abb., Leineneinband, Siedler Verlag Berlin, 68 DM

Käthe Kollwitz: „Briefe an den Sohn 1904 bis 1945“. Herausgegeben von Jutta Bohnke-Kollwitz. 304 Seiten mit zahlreichen Abb., Leineneinband, Siedler Verlag Berlin, 48 DM