Die eiserne Pergola

■ Wo das Stadtbild zu wünschen übrigläßt (Teil 25): Hinter der Kirche ragen eiserne Stangen in die Luft / Unbezahlte Rechnung ist Anlaß für eine unendliche Geschichte

Berlin. Allen Planungsabsichten ist der Winterfeldtplatz nicht entkommen. Zwar konnte er sich gegen die Bebauung der grünen Trümmergärten entlang der Gleditschstraße bis dato zur Wehr setzen. Und noch können Samstag für Samstag die Kiez-Intellektuellen und Besserwisser dem Ritual des Wochenmarktbesuchs nachkommen – um zu lustwandeln, gesehen zu werden und um über die Preise zu stänkern. Auch trifft man sich weiter dort, um zu beweisen, daß man/frau mit treffsicherem Gefühl reife Erdbeeren von unreifen Avocados unterscheiden kann. Der Markt ist nach wie vor ein Ort der saturierten Winterfeldtplatz- Öffentlichkeit, die sich selbst genügt.

Mit Vehemenz haben sich die Anrainer in den siebziger Jahren den Bebauungsplänen für den Winterfeldtplatz widersetzt. Die Bombenlücken sind noch immer nicht geschlossen. Innerstädtische Idyllen prägen die Stadtlandschaft, die einem naiven Spielfeld gleicht. Der Platz selbst ist unsentimental, steinern, ruppig und von rechteckger Weite, ohne die kleinkarierten Verschönerungen und Stadtmöblierungen von provinziellen Gartenbeamten.

Zum allseitigen Entsetzen trotzt der steinernen Platte seit über einem Jahr die unendliche Geschichte der Spielplatzgestaltung am Winterfeldtplatz. Hinter der Kirche ragen ungeschliffene Stahlrohre aus der Erde, kreuzen Eisenstangen die Luft und hängen spitze Fallgitter über Büschen. Die eiserne Pergola assoziiert als aggressives Zeichen in seiner Rohheit die Verletzbarkeit. Blut könnte von den Stangen tropfen, je länger man sie ansieht. Horrorszenarien aufgespießter Kinderschädel bestimmen die Imagination. In die Einbildungskraft schießen Bilder mit chirurgischer Konsequenz, von Schnittwunden aufgerissener Glieder, von schlechtverheilten Häuten.

Das müßte nicht so sein. Längst könnte die eiserne Pergola unter Knöterich verborgen sein. Anlaß der unendlichen Geschichte ist eine unbezahlte Rechnung, die zum Streit wurde zwischen dem Architekturbüro Hinrich und Inken Baller und dem Gartenbauamt. Nachdem 1991 die erste Schlosserfirma der Lanzenkunst nicht gewachsen war und eine zweite mit der Schmiedearbeit beauftragt wurde, weigerte sich die Behörde, eine zusätzliche Rechnung von 150.000 Mark zu bezahlen. Seither hängen die gefährlichen Spieße in der Luft. Die Firma tut keinen Handschlag mehr. Aus Sicherheitsgründen pflanzte das Amt einen Zaun um den Spielplatz, dessen Eisenstangen nun Rost ansetzen – erste Zeichen der Vergänglichkeit. Rolf Lautenschläger