Spätlese
: Mythologische Männlichkeit

■ "Mythos Mann. Rollen, Rituale, Leitbilder" von David D. Gilmore

Artemis & Winkler ist nicht zu Unrecht bekannt für seine Klassikerausgaben, die, in Dünndruck und schön gebunden, dem kulturellen Erbe der Welt die letzte Weihe geben: als verlegerische Anstalt hätte er durchaus den Punkt der Unesco verdient, der vor dem Zerbomben schützen soll (selbst wenn die Legende stimmt, die sagt, daß er finanziert werde durch Schweizer Waffenprofite). Mit diversen Reisebüchern und Sachbüchern wie dem oben genannten versucht er offenbar nun auch den Anschluß an die Gegenwart, und was könnte da populärer und erfolgreicher sein als ein Versuch in Gender Studies? So sei an dieser Stelle eindringlich vor diesem Versuch gewarnt: der Autor (Professor für Anthropologie an der State University of New York) reiht in einem eklektizistischem Gang durch aller Herren Länder anthropologische Untersuchungen, Reihenstudien, selbst Erlebtes und allgemeine Betrachtungen zu einer Kette von Banalitäten zusammen, geriehen auf einen dünnen Faden von Theorie, den er sich aus moderner Psychoanalyse, vergleichender Kulturwissenschaft und biologistischer Metaphysik zusammengesponnen hat. Wir reisen mit Mr. Gilmore im Schweinsgalopp von Andalusien über Sambia bis Polynesien, um allerlei Techniken kennenzulernen, mit denen das Rollenbild des Mannes jeweils zurechtgeschnitzt und aufgerichtet wird, und werden durch die Eile und Oberflächlichkeit, mit welcher die Riten ohne größere Rücksicht auf Kontexte vor uns abgemustert werden, an jeder Erkenntnisleistung über das schnelle Staunen hinaus gehindert. Da paßt es, daß das Buch sich liest wie nachlässig ins Mikrophon gesprochen und das Vorwort von Maya Nadig (denn natürlich muß in der heutigen Zeit eine Frau das Buch eines Mannes über Männlichkeitsriten sanktionieren) nicht mehr ist als ein Klappentext in bester Absicht; da paßt es auch, daß das offenbar sich im Tiefschlaf seiner Tätigkeit entledigende Lektorat Theweleits Klassiker unter dem Titel „Männlichkeitsphantasien“ durchgehen läßt. Vielleicht hätte eine Lektüre dieses Buches, das „Männerphantasien“ heißt, dazu geführt, daß man Gilmores in jeder Hinsicht sekundäre Arbeit dem deutschen Publikum vorenthält: Besser wär's gewesen.

Aber was hilft das Reden: kaum sind diese Zeilen geschrieben, erscheint dasselbe Werk bei dtv im Taschenbuch und ist zudem auf seinem unschuldig-weißem Umschlag versehen mit einer Hymne seitens der so seriösen FAZ, die von einem „Verdienst in sich“ (was immer das sein mag) jubelt... Also, Frauen und Männer: Keep off your hands.

David D. Gilmore: „Mythos Mann. Rollen, Rituale, Leitbilder“. Aus dem Amerikanischen von Eva Gärtner. Artemis & Winkler Verlag, geb., 279 Seiten, und dtv, naturgemäß nicht gebunden, 279 Seiten.