Knochenkocher auf Sparflamme

■ Bremer Gerichtsmedizin auf Billigniveau / Ohne Lupe und Leichenwaage

Knochenkocher auf Sparflamme

Bremer Gerichtsmedizin auf Billigniveau / Ohne Lupe und Leichenwaage

Etwas Rötliches fließt der männlichen Leiche aus der Nase - ist das Blut oder doch nur Fäulnisflüssigkeit? Totschlag oder Tod durch Alkohol? Die Polizeibeamten fordern das übliche gerichtsmedizinische Dreierteam an: zwei Rechtsmediziner und einen Präparator. Pech, daß es Samstag ist und einer der drei außerdem im Urlaub. So müssen die Hamburger Spezialisten kommen — das dauert rund drei Stunden und kostet mindestens 1.000 Mark. Solange müssen die Polizisten untätig ausharren und können keine Fahndung einleiten.

„Wir sind personell völlig unterbesetzt“, sagt Dr. Michael Birkholz, Leiter des rechtsmedizinischen Dienstes beim Hauptgesundheitsamt. „Wir können unseren Versorgungsauftrag nicht erfüllen.“ Bang wird ihm vor allem bei dem Gedanken an die Zukunft: Bremen sei schließlich nicht nur ein kulturelles und wirtschaftliches Oberzentrum, sondern auch ein Oberzentrum der Kriminalität.

Nicht nur personell ist die Bremer Rechtsmedizin schlecht ausgestattet: Das fängt bei der fehlenden Lupe an. Die braucht Birkholz zum Beispiel, um auf dem Grund der Wunde eines Unfallopfers nach Autolack-Teilchen zu fahnden. Außerdem gibt es keine Leichenwaage, geschweige denn eine Knochenkoch-Anlage: Damit werden Knochen und Schädel vom Fleisch befreit, um alte Brüche zu entdecken oder Personen zu identifizieren. Zwar hat Birkholz mit seinem Kollegen auch schon mal auf einem normalem E-Herd gekocht, doch das verboten die St.-Jürgens-Pathologen wegen des Gestanks. Mit manuellem Abkratzen bekommt man den Knochen jedoch nicht faserfrei, kann das stinkende Teil also dem Gericht nicht auf den Tisch legen. Rund 40.000 Mark würde die fehlende Basisausstattung für die Gerichtsmedizin kosten.

Dabei geht es Birkholz gar nicht um ein DNA-Labor, nein, aber wenigstens Gewebeuntersuchungen würde er gern selbst machen,

Blitzblank - doch wie's da drin aussieht, geht niemand was an: 3 Tiefkühlfächer, 9 Kühlfächer im St.-Jürgen-Krankenhaus Foto: Katja Heddinga

anstatt sie an andere Labore zu geben. Ein Fallbeispiel: Ein Fahrer überfährt einen Mann, begeht Fahrerflucht. Der Verletzte wird auf die Gegenfahrbahn geschleudert, dort auch noch vom Gegenverkehr überrollt. Welche Wunde ist die erste und an welcher Wunde ist der Mann gestorben? Polizei und Staatsanwaltschaft wüßten das gern noch in derselben Nacht.

Letztlich verstoße die Bremer Rechtsmedizin gegen ihre Sorgfaltspflicht, sagt Birkholz. Nirgendwo sonst sei die Rechtsmedizin so schlecht ausgestattet wie in Bremen. Seit Jahren habe es keine einzige Investition gegeben. Auch im Vergleich zu den anderen Abteilungen des Gesundheitsamtes wie etwa dem Sozialpsychatrischen Dienst falle die Rechtsmedizin immer hinten runter. „Wir sind eine Krake mit einem Arm“, klagt Birkholz. Außer der gerichtlichen Pathologie könne man keines der anderen vier Arbeitsfelder abdecken (gerichtliche Chemie, Gewebeanalyse, Spurenkunde und gerichtliche Begutachtung).

Ganz so dramatisch mag der Leiter des Hauptgesundheitsamtes, Heinz-Jochen-Zenker, die Situation nicht sehen: Früher habe es sogar nur einen einzigen Rechtsmediziner geben, mittlerweile immerhin zweieinhalb und einen Präparator. Sicher, gemessen am Bedarf sei das zu wenig, aber er sei als Leiter des Gesundheitsamtes ohnehin nur Mängelverwalter.

„Wenn man mich nur machen ließe“, seufzt Birkholz. Am liebsten würde er die Rechtsmedizin als selbständiges Insitut sehen. Das hieße, daß keine Aufgaben mehr

an andere Labore gegeben werden und die Überschüsse nicht mehr gänzlich im allgemeinen Bremer Haushalt verschwänden. Überall sonst nämlich sei die Gerichtsmedizin ein blühendes Institut. Allein für die Analyse der jährlich 80

Drogentoten fließe derzeit ein ganzes Chemiker-Jahresgehalt nach Lübeck. Und mit der Begutgachtung der Leichen, die eingeäschert werden sollen, werden jährlich 280.000 Mark durch Gebühren erwirtschaftet, doch das Geld geht nur an Kröning. Auch Zenker denkt darüber nach, den rechtsmedizinischen Dienst aus dem Gesundheitsamt herauszulösen und vielleicht zu einem kommunalen Eigenbetrieb zu machen. Der könnte dann auch Bremerhaven mitversorgen, die wenden sich auch immer an Hamburg. Aber bitte, sagt Zenker, das ist nur angedacht, rein innerbehördlich außerdem. Christine Holch