Im Werragebiet sprudelt Meerwasser aus Quellen

■ Kalibergwerke bringen den Menschen in ihrer Umgebung keinen Segen, doch obwohl das Geschäft mit dem Salz die Umwelt ruiniert, geht Arbeitsplatzerhalt vor

Eigentlich steht Salz seit biblischen Zeiten für Reinheit und Ewigkeit. Der unersetzbare Rohstoff, bald „weißes Gold“ genannt, hat Kriege ausgelöst, seinen Händlern Reichtümer beschert und selbst die Literatur bereichert. Doch heute bringen die Kalibergwerke den Menschen in ihrer Umgebung längst keinen Segen mehr, sondern eine üble Seuche: den Salzfraß. Im Werragebiet, wo sich die größten natürlichen Kalilagerstätten Deutschlands befinden, sprudelt Meerwasser aus Quellen, fressen sich die sauren Kristalle durch Fundamente und Kanalisation, überwuchert das Kalisalzkraut Äcker und Wiesen. Der Grund: Unter der Erde schwappt ein riesiger Salzsee aus Kaliabwässern – laut Spiegel das größte Binnengewässer nach dem Bodensee.

Die in den Kaliwerken der Kasseler Kali und Salz AG an der Werra, Fulda und Ulster seit Jahrzehnten gewonnenen Kalisalze werden tonnenweise als Streusalz auf winterliche Straßen geworfen, zu Düngemittel weiterverarbeitet oder weggekippt. Auf der ostdeutschen Seite betrieb 40 Jahre lang das VEB-Kalikombinat Werra für die DDR, einst drittgrößter Düngemittelexporteur der Welt, das dreckige Geschäft mit dem Salz.

Nun gehen beide gemeinsam auf Schürfkurs: Im Dezember letzten Jahres schmiedete die Treuhand aus ihrer Mitteldeutschen Kali und Salz GmbH (MdK) und dem BASF-Ableger Kali AG einen gesamtdeutschen Salzmonopolisten – mit 49 Prozent Staatsanteil. Der Grund: Angesichts riesiger Überkapazitäten auf dem Weltmarkt wollte die MdK niemand kaufen; eine Schließung der restlichen Gruben in Ostdeutschland war politisch nicht durchsetzbar – schließlich hatten seit 1990 bereits 25.000 Kalikumpel ihren Job verloren. Der Wink des Kanzlers nach Sanierung der industriellen Kerne bescherte dem deutsch- deutschen Duett auch noch eine milliardenschwere Bareinlage der Treuhand. Doch kaum war die Fusion besiegelt, fühlten sich die ostdeutschen Kali-Betriebe über den Tisch gezogen. Sie fürchten, daß das Konzept, das in den nächsten fünf Jahren eine Verringerung der Abbaukapazitäten um 2,2 auf 5,2 Millionen Jahrestonnen vorsieht, voll auf ihre Kosten geht. Weitere Werksschließungen wurden angekündigt, die Zahl der Beschäftigten soll von 11.500 auf 7.500 reduziert werden. Daß es da in erster Linie die wesentlich unproduktiveren ostdeutschen Bergwerke treffen würde, konnten sich die Kumpel an fünf Fingern abzählen.

Die Umweltschützer verlangen seit langem höhere Umweltauflagen, die freilich alle Arbeitsplätze kosten. Doch Drohungen mit Massenarbeitslosigkeit wirken noch immer besser als ökologische Horrorszenarien. Also geht der ökologische Wahnsinn erst einmal unvermindert weiter: Die Kalisalze werden zermahlen und anschließend mit einer heißen Lauge behandelt, in der sich die begehrten Salze auflösen. Der Schlamm, die sogenannte Kali-Endlauge, wird entweder zu gebirgsartigen Halden aufgetürmt oder mit hohem Druck durch tiefe Bohrlöcher in die Erde gepumpt.

Schon 1968 versagte das Verfahren einmal und gefährdete die gesamte Trinkwasserversorgung Eisenachs. Doch statt die ökologisch unverantwortliche Versalzung zu drosseln, kippten die sozialistischen Planer die trübe, schmutziggraue Brühe anschließend in die Flüsse. Ende der 80er Jahre wurden jährlich rund 5,5 Millionen Tonnen Salz den Süßwasserfluß hinaufgeschwemmt – an einem Tag die Menge von fast 50 Güterwaggons. Es gab Zeiten, da konnten Aktivisten der Umweltschutzorganisation Greenpeace aus einem Liter Werrawasser 27 Gramm Salz gewinnen. Das Ergebnis: Im Oberlauf des deutsch-deutschen Grenzflusses Weser schwammen bald Krabben und Nordseefische. Woher die Salzlaugen kommen, läßt sich freilich nicht mehr so genau bestimmen. Tatsache jedenfalls ist, daß täglich noch immer eine ungeheure Salzfracht in Boden und Flüsse gelangt. Erwin Single