Wiedergänger im Gedenken

Die Vorbereitungen zum Jahrestag des Warschauer Ghettoaufstandes wurden durch einen christlich-jüdischen Streit belastet.  ■ Von Klaus Bachmann

Bis kurz vor den Gedenkfeiern zum 50. Jahrestag des Warschauer Ghettoaufstandes zog sich ein Konflikt hin, dessen Ende nun erst abzusehen ist: Der Streit um das Karmeliterkloster in Auschwitz.

Das umstrittene Karmel liegt auf dem Gelände des früheren Vernichtungslagers, aber außerhalb des heutigen Museums. Auf dem Gelände der früheren Kaserne lagerten die Wachmannschaften des Vernichtungslagers unter anderem Cyklon B – jenes Giftgas, mit dem in den Gaskammern von Auschwitz Massenvernichtungen durchgeführt wurden.

Nachdem Papst Johannes Paul II. in einem Brief an die Ordensschwestern in Auschwitz diese am Mittwoch dieser Woche definitiv aufgefordert hat, aus dem Kloster auszuziehen und der für die Diözese Bielsko-Biala (in der Auschwitz liegt) zuständige Bischof erklärt hat, die Schwestern würden sich dem Wunsch des Papstes unterordnen, hat nun auch der Jüdische Weltkongreß mitgeteilt, er werde an den am Montag beginnenden offiziellen Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto „mit einer vollständigen und offiziellen Delegation“ teilnehmen.

Selbst der umstrittene, radikale amerikanische Rabbi Avi Weiß teilte inzwischen mit, er werde seine Pläne, erneut vor dem Kloster zu demonstrieren, für einen Monat aussetzen. Sollten die Nonnen dann immer noch nicht in das umzugsfertige Klostergebäude der Internationalen Gedenk- und Begegnungsstätte in Auschwitz umgezogen sein, werde er dennoch demonstrieren.

Neben das Klostergebäude haben die Schwestern ein haushohes hölzernes Kreuz aufgestellt. Von Seiten jüdischer Organisationen, darunter des Jüdischen Weltkongresses, wird dies als Versuch angesehen, den „jüdischen Friedhof von Auschwitz“ zu christianisieren. Polnische Nationalisten lehnen indessen einen Auszug der Schwestern in das inzwischen fertiggestellte Internationale Zentrum für Vertreter aller Religionen ab, da für sie Auschwitz auch ein Symbol für die Martyriologie der Polen ist.

Auschwitz selbst wurde zunächst für polnische Gefangene gebaut und erst nach der Wannseekonferenz über die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“ in ein Vernichtungslager verwandelt. Neben ca. anderthalb Millionen Juden wurden dort auch mehrere hunderttausend Polen ermordet.

In der Vergangenheit war es immer wieder zu jüdischen Demonstrationen vor und in dem Kloster gegen die Anwesenheit der Nonnen gekommen. Der auch in jüdischen Kreisen umstrittene Rabbi Weiß hatte mehrmals erneute Proteste angekündigt.

Weiß hat bereits auch mehrmals vergeblich versucht, Polens Primas Glemp wegen dessen zum Teil antisemitischer Äußerungen zum Kloster in den USA vor Gericht zu bringen. Auch der Jüdische Weltkongreß hatte damit gedroht, die Feierlichkeiten am 19. April zu boykottieren, sollten die Schwestern bis dahin nicht ausgezogen sein.

Eine andere Position zu diesem Konflikt formulierte Marek Edelmann (s. Interview auf der gegenüberliegenden Seite), ein Anführer des Warschauer Ghettoaufstandes, der gegenüber der taz die Boykottdrohung als deplaziert charakterisierte: „Das ist ein Religionskrieg. Dabei richten sich die Feierlichkeiten doch gerade gegen solche Auseinandersetzungen. Auch läßt er keinen Zweifel daran, daß der Jahrestag des Aufstandes „eine polnische Sache ist. Da können Gäste aus Israel und den USA dazukommen, aber eben als Gäste, nicht als Hausherren.“

Der Bischof von Bielsko-Biala, der für das Karmel zuständig ist, erklärte inzwischen der Presse, es seien „konkrete Schritte zu einer schnellen Lösung des Problems“ unternommen worden, zu berücksichtigen seien allerdings „konkrete kirchliche Vorschriften und auch die Würde der betroffenen Schwestern.“ Stanislaw Musial, Sekretär des Episkopats für den Dialog mit dem Judaismus, hatte zuvor erklärt, die Entscheidung liege weder bei Rakoczy noch bei den Schwestern, sondern bei der Ordenskongregation in Rom. Tatsächlich stellt auch der Papstbrief nur eine Aufforderung dar – ob sie dem Wunsch des Papstes nachkommen, liegt nun ganz bei den Karmelitinnen.

Bisher ist es noch nie vorgekommen, daß die Kirchenobrigkeit selbst ein Kloster aufgelöst hat. Zuletzt wurde – ebenfalls im Zusammenhang mit einer Papstentscheidung – das Karmel von Przemysl für einige Monate suspendiert, und die Mönche wurden strafversetzt. Selbst eine solche Entscheidung liegt allerdings beim zuständigen Bischof, nicht beim Papst.

Weiterer Konfliktstoff allerdings bleibt bestehen. Wenige Wochen vor den Feierlichkeiten nahm Wieslaw Chrzanowski Polens Sejmmarschall (Parlamentspräsident), der zugleich Parteichef der regierenden Christnationalen ist, an Feierlichkeiten ehemaliger NSZ-Kämpfer teil, was einer Art offizieller Rehabilitierung der nationalistischen Kampforganisation gleichkommt, der vorgeworfen wird, während der deutschen Besatzung Juden gejagt und ermordet zu haben. Die NSZ (Abkürzung für Nationale Bewaffnete Kräfte) entstammten der extrem antisemitischen Vorkriegsfalanga Polens und wurden im Stalinismus mit besonderer Unnachgiebigkeit verfolgt. Gegen Chrzanowskis Teilnahme am Gedenkgottesdienst für die NSZ-Veteranen protestierten inzwischen jüdische Organisationen aus dem Ausland und jüdische Intellektuelle in Polen selbst. Marek Edelmann erklärte der taz gegenüber, er werde zu Hause bleiben, sollte Chrzanowski an den Feiern zum Jahrestag des Aufstandes teilnehmen.

Die offiziellen Feierlichkeiten sollen am Montag beginnen. Bereits in den letzten Wochen fanden allerdings zahlreiche Ausstellungen, Diskussionen und Symposien zum Thema des Jahrestags statt. Auch Primas Glemp, der am Montag (offiziell wegen einer Auslandsreise) nicht anwesend sein wird, gedachte der Opfer von vor 50 Jahren in einer Gedenkmesse.

Zu der Veranstaltung haben neben der kompletten Führung des Jüdischen Weltkongresses mit Edgar Bronfman an der Spitze auch der israelische Premierminister Icchak Rabbin und US-Vizepräsident Al Gore ihr Kommen zugesagt. 1.800 Polizisten werden über ihre Sicherheit wachen.

Die Hoffnung der Organisatoren, es werde zum ersten Mal keine alternativen Feierlichkeiten geben, machte indessen die Studentengewerkschaft NZS zunichte, die zusammen mit israelischen Studentinnen und Studenten eigene Veranstaltungen, darunter eine polnisch-jüdische Modeschau, plant.

1988, zum 45. Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto, hatte die damals noch illegale Gewerkschaft Solidarnosc und Vertreter der demokratischen Opposition mit Marek Edelman an der Spitze ein Denkmal für zwei unter Stalin spurlos verschwundene Mitglieder der jüdischen sozialistischen Vorkriegsorganisation „Bund“, der auch Edelman angehörte, enthüllt.