Sanssouci
: Nachschlag

■ Walter Schmidinger liest Arthur Schnitzler

Wie ein Erblindeter verläßt er die Bühne: Walter Schmidinger hat Mühe, den im Dunkel liegenden Bühnenausgang zu finden, er tastet sich, nach oben blickend, an der Wand entlang, verschwindet – und kehrt zurück, als der Applaus nicht verstummt. Er stellt sich neben den Lichtkegel, der Tisch und Stuhl beleuchtet, verneigt sich zaghaft und tritt ab, wieder mit unsicheren Schritten. Es ist so, als ob er sich, von weither kommend, auf die Bühne verirrt habe. Und nun, nach eineinhalb Stunden, geht er wieder davon. Wohin? Vielleicht ins Nirwana.

Kaum fünfzig Besucher haben in der Schaubühne an diesem Abend, der wegen eines Versehens nicht angekündigt worden war, zwei Novellen von Arthur Schnitzler gehört – von einem Schauspieler gelesen, der seinesgleichen nicht hat. Was Schmidinger liest, verwandelt sich, wird mit den Synkopen, den unerwartet langgezogenen oder verkürzten Vokalen, den sanften Satzbögen, die kein Ende zu nehmen scheinen, zu einer Melodie – man verzeihe die Anleihe bei der Musik. Schon die ersten Sätze Schmidingers schaffen eine Aura, die sich selbst dem Unruhigsten im Parkett mitteilt. Eine Stecknadel – man hätte sie gehört, und nicht nur, weil viele SchauspielerInnen gekommen waren (wohl um herauszufinden, „wie der Schmidinger das macht“).

Im schwarzen Anzug und schwarzen Hemd, etwas steif auf der Stuhlkante sitzend, das weiße Taschentuch neben sich, das er immer wieder mit zitternden Händen hält, mit sparsamer Gestik – so liest Schmidinger den „Ehrentag“, die Novelle über den „unbedeutenden, aber eingebildeten Mimen“ Roland, der sich in seiner Garderobe während einer Vorstellung das Leben nimmt. Daß die komischen Passagen von Schmidinger mit einem wienerischen Tonfall auch so gelesen werden, das ist sein gutes Recht (schließlich trägt er auch unvergleichlich Karl Valentin vor), es muß aber diejenigen erbittern, die am Ende der Erzählung bemerken müssen, daß sie zu laut gelacht haben und Schnitzler anscheinend nicht kennen. Das zweite Prosastück „Blumen“, der innere Monolog eines Verlassenen, vermittelt einen Eindruck davon, was es bedeuten kann, „ergriffen“ zu werden, ohne Pathos, ohne Schwulst. Und die Angst kommt hinzu, daß der Satz, so wie ihn Schmidinger spricht, wahr sein könnte: „Ich kann die Vorhänge herablassen, und die Sonne ist tot.“

Weshalb liest Schmidinger diese Novelle? Hoffen wir, daß Schnitzler mit seinem Aphorismus genug erklärt – und uns beruhigt: „Um den Künstler ist ein geheimnisvolles Element, durch dessen Medium er die Umwelt unvergleichlich stärker zu erfassen vermag als irgendein anderer Mensch, und das ihn doch zugleich unerbittlicher von ihr abschließt, als die dickste Mauer es vermöchte.“

Walter Schmidinger – seien wir glücklich, daß er in dieser Stadt zu hören und zu sehen ist. Stephan Schurr

Nächste Vorstellung am 30. April, 20 Uhr.