Die UNO probt eine härtere Gangart

Wenn die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats angenommen hatten, ihre „Srebrenica-Resolution“ würde die angreifenden Serben zum Rückzug bewegen, so wurden ihre Hoffnungen durch neue Angriffe gegen die belagerte Stadt schnell enttäuscht.

Der Krieg in Exjugoslawien wird in der westlichen Öffentlichkeit fast ausschließlich als „Krieg um Städte“ wahrgenommen. Bei der Eroberung von Vukovar und Osijek in Kroatien, beim „Fall“ von Jaice und Čerska war es immer wieder die Vorstellung, daß von einer multiethnischen „ganzen“ Stadt mit ihren 10.000 oder 20.000 Einwohnern nur Ruinen bleiben, die Wut und Entsetzen – und die Bereitschaft, „endlich etwas zu tun“ – wachsen ließen.

Und nun Srebrenica. Eine Stadt, in die nach der Eroberung Čerskas Anfang dieses Jahres Tausende Muslime geflüchtet waren. Die durch UN-General Morillon, der sich zum persönlichen Schutzschild der 60.000 BewohnerInnen erklärte, zu dem Symbol für die Tätigkeit der UNO in Bosnien geworden ist. Gerade dies scheint die Serben jedoch herausgefordert zu haben: Ihre Granatwerfer waren bewußt auch auf das Postgebäude Srebrenicas, in dem die Hilfsorganisationen und UN-Blauhelme untergebracht sind, gerichtet. Und wenn die Mitglieder des Sicherheitsrates angenommen hatten, durch ihre jüngsten Resolutionen die angreifenden Truppen zum Rückzug bewegen zu können, so wurden diese Hoffnungen schnell enttäuscht. Auch am Sonntag setzten die Serben ihre Angriffe auf Srebrenica fort.

Vor allem in den USA hatten die Berichte über den bevorstehenden Fall der Flüchtlingststadt scharfe Reaktionen ausgelöst. Präsident Clinton schloß zwar weiterhin den Einsatz von Bodentruppen aus, zog aber nun zum erstenmal „empört“ die Bombardierung serbischer Stellungen aus der Luft in Erwägung. Mögliche Ziele für einen Angriff, so verlautete aus Washington, könnten die Brücken über die Drina sein, über die die bosnischen Serben ihren Nachschub aus Serbien erhalten. An der Operation müßten sich jedoch auch „die Verbündeten“ beteiligen. Einen Schritt weiter gingen Mitglieder des US-Kongresses. So forderte der Führer der Senatsminderheit, Bob Doyle, Clinton auf, an die Serben ein „Rückzugsultimatum“ zu stellen. Sollten die Serben ihre Truppen innerhalb von 24 Stunden nicht zurückgezogen haben, so würden sie von Nato-Flugzeugen bombardiert werden. Und auch der EG-Vermittler Owen, der sich bisher stets für eine Verhandlungslösung eingesetzt hatte, forderte innerhalb weniger Tage bereits zum zweiten Mal Luftangriffe gegen die Nachschubwege der bosnischen Serben; die UN-Sanktionen allein würden nicht ausreichen, um die Kämpfe in Bosnien zu beenden.

Doch während in Europa und den USA die Berichte aus Srebrenica eine Diskussion über weitergehende Maßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft wiederaufflammen lassen, findet der Krieg in Ostbosnien in Rußland nicht statt. Ganz im Unterschied zum Verhalten der russischen Delegation bei der UNO, die ihre Ablehnung eines Sanktionsbeschlusses immer wieder mit der Rücksicht auf proserbische Positionen in Rußland begründet, findet sich eine Unterstützung der serbischen Position lediglich in den Hetzblättern der rot-braunen Opposition. Selbst die Hauptgegner Jelzins, Vizepräsident Ruzkoi und Parlamentspräsident Chasbulatow, haben den Krieg in Bosnien und die russische Position bisher nicht zum Thema des Referendumswahlkampfes gemacht. Politische Beobachter gehen dennoch davon aus, daß die russische Außenpolitik ganz sicher gehen will: Wenige Tage vor der Volksabstimmung sollen den Kontrahenten des Präsidenten keine weitere Argumente geliefert werden.

Bereits vor dem Sanktionsbeschluß der UNO hatte der Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, sich veranlaßt gesehen, eine weitere propagandistische Offensive zu starten. Im Belgrader Fernsehen kündigte er am Samstag abend den „kollektiven Selbstmord“ der bosnischen Serben an; sollte die UNO ein militärisches Eingreifen in Bosnien beschließen, könne dies allein durch diese „nationale Tat“ verhindert werden. Bereits am Sonntag vormittag und im Wissen um den Umfang der Sanktionsmaßnahmen agierte der Serbenführer dann allerdings weniger gereizt. Nun kündigte er lediglich an, daß das Parlament seiner selbsternannten Republik in Bosnien den Rückzug aus den Friedensverhandlungen beschließen werde. Die bosnischen Serben, so Karadžić, hätten nicht die Absicht, Srebrenica zu erobern. Ihr Ziel sei es, „ihre serbischen Dörfer“ vor „drohenden Greueltaten der moslemischen Extremisten“ zu beschützen. her