Der Kindermord am Bullenhäuser Damm

Gedenkveranstaltung erinnert heute abend (18 Uhr) an eines der grausamsten  ■ Verbrechen der Hamburger Nazi-Zeit

Kurz vor Ende des Krieges begingen die Nazis in Hamburg eines ihrer furchtbarsten Verbrechen: In der Nacht auf den 21. April 1945 ließen sie im Keller der Schule am Bullenhuser Damm 20 Kinder ermorden, dazu zwei französische Ärzte und zwei Krankenpfleger aus Holland — die Opfer und die Zeugen grausamer medizinischer Experimente. Die SS tötete sie, um vor den herannahenden britischen Truppen die Spuren dieser Versuche zu verwischen.

Im Laufe des Jahres 1944 war ein wenig talentierter SS-Arzt auf die Idee gekommen, er müsse eine dubiose Theorie über die Tuberkulose-Bekämpfung experimentell bestätigen. Dieser Dr. Kurt Heißmeyer kannte auf dem Weg zu wissenschaftlichem Ruhm keine Skrupel; Menschen hatten in seinen Augen nur den Wert von Versuchstieren — wenn sie nicht zur deutschen „Herrenrasse“ zählten.

Die Opfer für sein Vorhaben lieferte das Lagersystem der Nazis: Heißmeyer ließ in Auschwitz zehn Mädchen und zehn Jungen auswählen, Kinder aus Frankreich und Holland, aus Jugoslawien, Italien und Polen im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren. Erst päppelte man sie hoch, dann transportierte man sie nach Neuengamme. Dort infizierte Heißmeyer sie mit Tuberkuloseerregern und ließ ihnen die Lymphdrüsen herausschneiden. Wochenlange Leiden waren die Folge; erst die Mordaktion der SS setzte diesen grausamen Qualen ein ebenso grausames Ende.

Das Verbrechen an den Kindern hatte schon bald ein erstes Nachspiel: 1947 verurteilte ein britisches Gericht mehrere an der Tat beteiligte SS-Männer zum Tode. Der verantwortliche Arzt und der befehlshabende SS-Obersturmführer Arnold Strippel aber waren untergetaucht und entgingen vorerst einer Bestrafung. Erst Jahre später kam Heißmeyer in der DDR vor Gericht und erhielt Lebenslänglich; auch Strippel wurde gefaßt und verurteilt.

Das zweite Nachspiel aber, eine groteske Justizposse, sollte Strippel 1967 vor der Verantwortung wegen der Kindermorde schützen: Da die Briten alle damaligen Mittäter hingerichtet hatten, ließen sich Heimtücke oder Grausamkeit der Morde an den Kindern nicht mehr nachweisen. Strippel habe zwar ihre Tötung durchführen lassen, ihnen jedoch nach Meinung des Hamburger Oberstaatsanwaltes Münzberg „über die Vernichtung ihres Lebens hinaus kein weiteres Übel zugefügt“. Da sie wohl nicht gelitten hätten, sei Strippel nicht wegen arglistigen oder heimtückischen Mordes zu verurteilen. Am Ende aller Verfahren kassierte der NS- Scherge und vielfache Mörder sogar noch 120 000 Mark Haftentschädigung. Im Umgang der deutschen Justiz mit Nazi-Verbrechern war eine solche Entscheidung allerdings nicht ungewöhnlich.... Kay Dohnke

Heute abend um 18 Uhr wird in der Janusz-Korczak-Schule am Bullenhuser Damm 92 der Kinder gedacht. Nach einer Ansprache von Bürgermeister Voscherau führt der NDR-Chor die Komposition „Nacht“ des Israelis Leon Schidlowski auf.