"Wer hat an Ihnen rumgedoktert?"

■ Krank, entrechtet, unaufgeklärt? / Die PatientInnenstelle und warum sie nötig ist: ein Fall

„Wer hat an Ihnen rumgedoktert?“

Krank, entrechtet, unaufgeklärt? / Die PatientInnenstelle und warum sie nötig ist: ein Fall

Eine Stunde lang mit Blick auf die Uhr geübt. Spickzettel. Nur nichts vergessen. Der Rücken, nach viel Sitzen oder Bewegung, manchmal einfach so, mitte rechts oben, Wirbel früher schon mal ausgerenkt, Vorbehandlung, Kopfschmerz, Zusammenhang? Zwei Minuten: zu viel. Nochmal üben, für eineinhalb. Ich gehe zum Arzt.

„Krank — entrechtet — unaufgeklärt“, auf diese Formel brachte vor einem Jahr der Bremer Gesundheitsladen die Situation von PatientInnen. Noch immer sind die Kranken die Schwächsten im Gesundheitssystem, doch das soll sich ändern: Auf dem Weg zur mündigen Patientin gibt es seit eineinhalb Jahren eine Bremer Initiative, hier nach dem Vorbild von Hamburg, Bielefeld, Köln und München eine PatientInnenstelle einzurichten. PatientInnenstelle, das heißt: Eine Anlaufstelle für Menschen, denen die Krankenkasse gesagt hat, sie seien zu alt für eine Kur. Deren Angehörige bei einer Operation unter vermeintlich dubiosen Umständen verstorben sind. Denen Einsicht in die Krankenakten verwehrt wird. Deren Tumor nicht erkannt und falsch behandelt wurde.

In der PatientInnenstelle, einem zentralen Büro in der Stadt, sollen PsychologInnen, SozialarbeiterInnen, MedizinerInnen und JuristInnen Information, Rat und Hilfe anbieten: Rechtsberatung zur Abklärung von Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüchen, „wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“, wie es Clemens Müller vom „Arbeitskreis Patientenrechte/Patientenschutz“formuliert. „Solche Fälle kommen allerdings relativ selten vor“, sagt Müller. Die Hauptaufgabe soll die psycho-soziale Beratung sein — zu Diagnose- und Behandlungsfragen, Qualitätskriterien der medizinischen Behandlung, zum PatientInnenrecht etwa.

Im Gesundheitsladen laufen derzeit noch fast täglich Beschwerden und Anfragen ein, wollen Menschen ihre (Leidens)Geschichte loswerden, suchen Unterstützung — eine Arbeit, die der Gesundheitsladen nicht bewältigen kann. Denn auch in Bremen passieren Fälle wie dieser.

Bis zur Erwerbs-

unfähigkeit operiert

Die Symptome: Schwindel, Sehstörungen, Kopfschmerzen. Ein Bremer Orthopäde überweist an einen Hamburger Chiropraktiker, die ersten widersprüchlichen Diagnosen: der oberste Halswirbelknochen sitzt locker, der oberste Halswirbelknochen ist blockiert. Der Chiropraktiker lehnt die Behandlung ab, empfiehlt Krankengymnastik. Daraufhin empfiehlt der Orthopäde eine Fachklinik in Hamm, die eine „Sklerosierung“ durchführt, eine „Verhärtungs“therapie — nur das könne noch helfen. Die Symptome gehen nicht weg, im Gegenteil. Übelkeit, Erbrechen und Schweißausbrüche kommen hinzu. „Und die Schmerzen, die wünsche ich meinen ärgsten Feinden nicht.“ Über Nebenwirkungen wurde der Mann nicht aufgeklärt. Der Kommentar sämtlicher Fachärzte, die er nach dieser Behandlung aufsucht: „Wer hat Sie dort bloß hingeschickt?“ Der Patient kann vor Schmerzen nicht mehr schlafen. Ein Neurochirurg und ein weiterer Orthopäde raten zur Operation: Entfernung des sogenannten 1. Atlasbogens über der Halswirbelsäule. Sonst würde er nie mehr arbeiten können — die Verhärtungen seien, vermutlich als Folge der ersten Behandlung, sehr schlimm. Die Operation bringt keine Verbesserung. Die Meinung eines weiteren Orthopäden: Die Operationsnarben würden die Verhärtung nur noch verschlimmern. Der Mann bekommt mittlerweile Erwerbsunfähigkeitsrente. Er ist 43 Jahre alt.

Utopien: Der „rote Punkt“ an der Ärztetür — verliehen für halbstündige Beratungsgespräche. Bezahlte „PatientInnenfürsprecher“ in allen Krankenhäusern — ein Gesetzesvorschlag wird in Bremen erarbeitet — als AnsprechpartnerInnen vor Ort, die mit der PatentInnenstelle eng zusammenarbeiten. Strukturelle Mängel aufdecken zu können — den Arzt, der zu schnell zu viele Medikamente verschreibt, die Station, wo es mit der Hygiene nicht stimmt. Ist das nur Zukunftsmusik? Letztlich könnte die Bremer PatientInnenstelle selbst, die eigentlich im Herbst eingerichtet werden soll, nur eine Utopie bleiben. Gesundheitssenatorin Gaertner ist dafür, doch Geld, maximal 50.000 Mark, fließen nur unter dem Vorbehalt, daß ausreichend Wettmittel zur Verfügung stehen — in der jetzigen Situation ist das mehr als nur ein Vorbehalt. Susanne Kaiser