Ladung Dynamit im Blumengebinde

■ Schwarze Liste: Prominente Journalisten und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen in Guatemala werden von Todesschwadron bedroht

Managua (taz) – Journalisten haben in Guatemala immer schon gefährlich gelebt. Doch seit eine schwarze Liste einer anonymen Todesschwadron in Umlauf gesetzt wurde, fühlen sich die Presseleute in die Zeit des offenen Terrors vor zwölf Jahren zurückversetzt. „Die folgenden Individuen werden ab 31. März, null Uhr, zu Zielen unserer Bewegung“, heißt es in einem nüchternen Kommuniqué, dem eine Liste von 24 Namen folgt: allen voran acht Journalisten und vier Direktoren von Hilfswerken, die auf dem Gebiet der Menschenrechte tätig sind. Die Verurteilten, so heißt es in dem seit Ende März zirkulierenden Pamphlet, seien „Sprachrohre, Verteidiger und Sympathisanten der Subversion und ihrer Organisationen“.

Unter den Bedrohten findet sich der Agenturdirektor Byron Barrera, der vor zwei Jahren bei einem Attentat schwer verletzt wurde, die Kolumnisten Carlos Rafael Soto und Mario Roberto Morales, der stellvertretende Chefredakteur der Zeitung Siglo XXI, Haroldo Sanchez, und eine Anzahl weiterer prominenter Journalisten, die erst während der zaghaften politischen Öffnung der letzten Jahre aus dem Exil zurückgekehrt sind. In einem Land, wo in den letzten 15 Jahren über 20 Journalisten von rechtsextremen Todesschwadronen ermordet wurden, sind die Drohungen durchaus ernst zu nehmen. Deswegen schlagen nationale und regionale Pressevereinigungen Alarm und verlangen von Präsident Jorge Serrano Elias, die Identität der geheimnisvollen Rächer auszuforschen. Alan Fajardo, der Koordinator eines zentralamerikanischen Zusammenschlusses von NGOs (Non-Governmental Organizations), sieht eine „besorgniserregende Übereinstimmung der Anschuldigungen mit der bedrohlichen Rhetorik von Regierungssprechern, die den Medien eine systematische Destabilisierungspolitik unterstellen“. Es ist ein offenes Geheimnis, daß hinter den rechtsextremen Killerbanden der militärische Geheimdienst und Offiziere der Präsidentengarde stecken, die eine Presse, die nach und nach politische Freiräume erkämpft, als Feind betrachten.

Die Militärs sehen sich in der Defensive, seit die Verbrechen der Armee in Guatemala kein Tabuthema mehr sind. In einigen Fällen, in denen von den USA Druck gemacht wurde, landeten sogar Militärs vor Gericht. So entpuppte sich der anfangs als Eifersuchtstat dargestellte Mord an der kritischen Ethnologin Myrna Mack im September 1990 als politische Bluttat – verübt von einem Mitglied der Präsidentengarde. Und die Repatriierung von 2.430 Flüchtlingen zu Jahresbeginn war Anlaß, die Ursachen für die Massenflucht indianischer Bauern vor mehr als zehn Jahren in die Presse zu bringen. Nämlich die Vernichtungsfeldzüge der Armee gegen die soziale Basis einer erstarkenden Guerilla.

Präsident Jorge Serrano hält sich zugute, daß in seiner zweijährigen Regierungszeit kein einziger Journalist ermordet worden ist. Doch in den letzten Monaten klagen Presseleute zunehmend über Pressionen von seiten der Obrigkeit. Der junge Reporter Omar Cano, der bei einer gewagten Tour durch den Urwald nachweisen konnte, wie die Militärs in die illegale Abholzung der Naturreservate verstrickt sind, wurde brutal zusammengeschlagen und in einer Kaserne festgehalten. Die Namen der Täter und der Tropenholzschmuggler sind den Behörden bekannt. Doch während gegen diese keinerlei Untersuchung eingeleitet wurde, mußte Cano nach mehreren Morddrohungen ins Exil gehen. Dem Redaktionsrat seiner Zeitung Siglo XXI wurden Trauerkränze zugestellt, im Blumengebinde für einen Redakteur verbarg sich eine Dynamitladung. Anfang Oktober detonierte vor dem Sitz der armeekritischen Zeitschrift Tinamit ein Sprengsatz; Anfang Januar wurde eine Brandbombe in ihre Druckerei geworfen. Wenig später raubten vermummte Männer mehrere tausend Exemplare des Siglo XXI, in dem über den Fall Cano berichtet wurde, und steckten die Zeitungen vor den Augen der entsetzten Straßenverkäufer in Brand.

Der puritanische Sektenprediger Serrano ist auf die vierte Gewalt schlecht zu sprechen, nicht erst seit er im Januar in New York beim Verlassen eines Striptease- Lokals überrascht wurde. Wenn die Presse Probleme hätte, so erklärte er zynisch, sei sie selber schuld, schließlich destabilisiere sie durch unverantwortliche Berichterstattung die Regierung. Auch von einer Rüge der konservativen Interamerikanischen Pressegesellschaft, die vor ein paar Wochen einen Sonderberichterstatter nach Guatemala geschickt hatte, blieb der Staatschef unbeeindruckt. Schließlich lebt er von der Gnade der Militärs. Und die haben das Beispiel ihrer Kollegen aus El Salvador vor Augen, die durch die Offenlegung ihrer Verbrechen durch die sogenannte Wahrheitskommission öffentlich gedemütigt wurden. Das ist der Grund, warum auch die Mitte April wiederaufgenommenen Verhandlungen mit der Guerilla nicht vom Fleck kommen. Ralf Leonhard