Räumung der Hafenstraße abgesegnet

Oberlandesgericht Hamburg entscheidet: Kündigungsschutz des sozialen Mietrechts greift nicht für BewohnerInnen / Nur noch Verfassungsbeschwerde könnte helfen  ■ Aus Hamburg Sannah Koch

Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau bemühte gestern biblische Weisheiten, um seiner Genugtuung Ausdruck zu verleihen: „Die Mühlen des Rechtsstaates mahlen langsam, aber mahlen trefflich fein.“ Anlaß für seinen feinsinnigen Triumph: das Hanseatische Oberlandesgericht verkündete gestern einen folgenschweren Rechtsentscheid gegen die BewohnerInnen der Hafenstraße. „Die Mieter des Vereins Hafenstraße können sich gegenüber dem Räumungsverlangen der Hafenrand GmbH nicht auf den Kündigungsschutz des sozialen Mietrechts berufen“, so die Grundsatzerklärung des zuständigen Senats des OLG. Die Chancen der BewohnerInnen, vor Hamburger Gerichten ihren Siegeszug aus der ersten Instanz in der Berufung fortzusetzen, sanken damit unter Null.

Noch im vergangenen Jahr sah die Zukunft für einen Verbleib in der bunten Hafenmeile weit rosiger aus. Im Rechtsstreit um das komplizierte Vertragsgewirr, in das sich die Hansestadt Ende 1987 nach den Barrikadenkämpfen der BesetzerInnen gestürzt hatte, hatten die MieterInnen bislang die Oberhand. Zwar kündigte der Senat bereits 1991 den Pachtvertrag wegen angeblicher Gewalttaten aus den Häusern, doch nach der Auffassung der Amtsgerichte sollte dies nicht automatisch zur Aufhebung der Mietverträge führen. Denn die waren mit dem Verein Hafenstraße abgeschlossen worden. „Zwischenvermietung“, so befanden die Amtsrichter; hier gelte ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Das hatte entschieden, daß beim Wegfall eines gewerblichen Zwischenvermieters die Untermieter nicht ohne Rechte sein dürften. Fast alle der 35 Räumungsklagen der Hafenrand GmbH wurden abgelehnt.

Doch das Blatt wendete sich gestern überraschend: Das OLG befand nun, daß der Karlsruher Richterspruch hier nicht gelte könne. Der Verein Hafenstraße sei kein gewerblicher Zwischenvermieter, er habe vielmehr die Aufgabe gehabt, „durch die Vermietung selbstbestimmtes Wohnen auf gewaltfreier Basis zu fördern“. Die juristische Falle schnappte zu: Rechtsmittel können gegen den Entscheid nicht eingelegt werden, er ist bindend für die Landgerichte. Für Rechtsanwalt Ernst Medecke, der die BewohnerInnen in erster Instanz vertrat, ist damit klar, daß in der Berufung nichts mehr zu gewinnen ist. Aber: „Wir werden Verfassungsbeschwerde einlegen“, so seine Ankündigung.

Doch diese Sache hat einen Haken - das weiß auch Hafenrand-Geschäftsführer Wolfgang Dierksen. Denn trotz einer Verfassungsbeschwerde könnte er räumen lassen. Es sei denn, das Bundesverfassungsgericht untersagt dies für die Dauer des Verfahrens. „Wir werden weitermarschieren“, meint Dierksen jedoch gelassen, „die Häuser können schon Ende des Jahres geräumt und abgerissen sein.“ In der Hafenstraße biß man angesichts dieser düsteren Aussichten die Zähne zusammen. „Das müssen wir erstmal sacken lassen“, kommentierte Anne Reiche. Der Entscheid trifft die BewohnerInnen just in einer Phase aktiver Zukunftsplanung. Am Monatsende wollen sie eine Genossenschaft gründen, die Bauträger eines kommunalen Projekts direkt in ihrer Nachbarschaft werden soll (die taz berichtete). Doch auch für diese Pläne hatten sie kürzlich vom Senat eine rüde Abfuhr kassiert. Die Baulücken am Hafenrand, so der Senat, werden von der Hafenrand GmbH durch Sozialwohnungsbau geschlossen. Eine Debatte über die Vorstellungen der Hafenstraße? Kein Bedarf! Über deren Zukunft habe man schon vor Jahren entschieden, so die unverrückbare Position der SPD-Senatsriege - „das Projekt ist rechtsstaatlich zu beenden“.

Doch in diesem Zusammenhang hatte sich Regierungschef Voscherau noch zweideutig geäußert: der Sozialwohnungsbau könne für die Hafenstraße zum Prüfstein für rechtsstaatliche Normalität werden. Doch wenn Richter klare Worte sprechen, benötigt offensichtlich auch der Bürgermeister keine Hintertüren mehr.