Heute fällt der Marschbefehl nach Somalia

■ Kabinett beschließt Entsendung von etwa 1.600 Soldaten / Koalition einig / Einzelheiten des Einsatzes immer noch unklar, Voraustrupp bald unterwegs

Bonn (taz) – Dem ersten bewaffneten Auslandseinsatz bundesdeutscher Bodentruppen steht offenbar nichts mehr im Wege. Gestern vormittag gab eine Koalitionsrunde unter Vorsitz von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) grünes Licht für die Entsendung von über 1.600 Bundeswehrsoldaten nach Somalia. Heute soll das Bundeskabinett offiziell eine positive Antwort auf das Hilfeersuchen von UN-Generalsekretär Butros Butros Ghali beschließen. Ein erstes Erkundungskommando von Bundeswehrexperten soll, wie es gestern im Verteidigungsministerium hieß, gleich darauf nach Somalia in Marsch gesetzt werden. Der Einsatz selbst soll nicht vor Juni beginnen.

Über die Details ließen die beteiligten Ministerien die Öffentlichkeit gestern weiterhin im unklaren. Die „Feinabstimmung“ sei noch nicht abgeschlossen, hieß es unisono. Selbst unter Koalitionsabgeordneten regte sich Unmut über die Geheimniskrämerei. „Ich will überhaupt erst mal wissen, um was es geht“, sagte der FDP-Abgeordnete Burkhard Hirsch gestern vor der FDP-Fraktionssitzung zur taz. Dies sei „bisher nicht geklärt worden“.

Außenminister Klaus Kinkel (FDP) und der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Werner Hoyer, sprachen gestern erneut von einem eindeutig humanitären Einsatz. Es sei auch unter den Koalitionspartnern unstrittig, daß die deutschen Soldaten keine militärischen Nachschubaufgaben übernehmen werden, sagte Hoyer der taz. Andere FDP-Abgeordnete sagten, sie wollten diese Frage in der Fraktionssitzung eindeutig klären.

In dem von der Bundesregierung unter Verschluß gehaltenen Anhang zu dem Ghali-Brief wird als Aufgabe auch der Schutz (safeguarding) von Hilfslieferungen genannt. Im Außenministerium wurde gestern allerdings bestritten, daß damit ein militärischer Schutz gemeint sein könnte. Der Bau von Brücken und Straßen, den die Bundeswehrsoldaten nach ersten Meldungen ebenfalls leisten sollten, wird von der Bundesregierung dem Vernehmen nach nicht mehr erwogen. Die Bundeswehr sei dafür nicht ausgerüstet.

Unterschiedliche Informationen kursierten auch über die geplante Bewaffnung des deutschen UNO-Kontingents. Während bislang von einer „Selbstschutzkomponente“ von 150 leicht bewaffneten Infanteristen die Rede war, erwägt Verteidigungungsminister Volker Rühe (CDU) inzwischen auch den Einsatz von Panzerfahrzeugen. Denkbar sei die Entsendung von Spähpanzern des Typs „Luchs“, erfuhr die taz gestern auf der Hardthöhe. Der Radpanzer „Luchs“ hat vier Mann Besatzung und ist mit einer 20-mm-Maschinenkanone und einem Maschinengewehr ausgerüstet. Er könne Infanteriebeschuß und explodierenden Minen standhalten, hieß es im Verteidigungsministerium. Dies könne bei der Erkundung möglicher Minenfelder nützlich sein.

Die Koalitionsvertreter betonten gestern erneut, der Einsatz müsse auf „befriedete Zonen“ beschränkt bleiben. Gleichzeitig blieben die Einsatzorte der Bundeswehrsoldaten offen. Auch über den Stationierungsort gab es nur die allgemeine Aussage, er werde wahrscheinlich im Nordosten des Landes liegen. Genaueres müsse noch mit der UNO in New York und dem Kommando von UNOSOM II abgesprochen werden.

Genügend offene Fragen für die Bonner Abgeordneten, die sich heute in einer Bundestagsdebatte mit den deutschen Awacs-Flügen über Bosnien und dem Somalia- Einsatz beschäftigen werden. Von Außenminister Kinkel wird in der Debatte eine Regierungserklärung erwartet. Außerdem soll über einen Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP abgestimmt werden, in dem der Somalia-Einsatz gebilligt wird. Die SPD lehnt ihn ohne vorherige Verfassungsänderung ab.

Überraschend wurde gestern bekannt, daß für den späten Nachmittag ein Gespräch zwischen SPD-Chef Björn Engholm und Außenminister Kinkel anberaumt war. Das Treffen sei auf Wunsch von Engholm zustande gekommen, sagte eine SPD-Sprecherin. Die Frage einer Grundgesetzänderung für Bundeswehreinsätze out of area sei nicht der Anlaß des Gesprächs, betonte sie. „Wahrscheinlich“ werde aber auch über dieses Thema gesprochen. Bislang hatte die SPD in dieser Frage Verhandlungen mit der Koalition abgelehnt. Während die SPD per Grundgesetz lediglich den Einsatz deutscher Blauhelme erlauben möchte, wollen Union und FDP auch Kampfeinsätze ermöglichen, unter Umständen auch ohne UNO-Mandat.