Modrows Rede an die Nation

■ Mit einer umfangreichen politischen Erklärung beendete Hans Modrow gestern seine Aussagen im Wahlfälscherprozeß

Dresden (taz) – Staatsanwalt Ulrich Meinerzhagen ahnte wohl, was kommt. Einen linkischen Versuch unternahm er noch, um die mit Spannung erwartete Erklärung des der Wahlfälschung beschuldigten Hans Modrow zu verhindern. Er dürfe nicht vom Blatt ablesen, sondern nur in freier Rede referieren. Doch dieser kruden Rechtsauffassung mochte der Richter nicht folgen. Hans Modrow, Jahrgang 1928, der sich zuvor ausführlich zu seiner Biografie geäußert hatte, beendete mit dieser Erklärung zugleich seine Aussagen in diesem Prozeß.

Nachdem sich Anklage und Prozeß als von „eindeutig politischer Natur“ erwiesen hätten, müsse er eine „politische Verteidigung“ liefern, erklärte der frühere SED-Bezirkschef vor, DDR-Ministerpräsident nach der Wende und jetzige PDS-Bundestagsabgeordnete und Ehrenvorsitzende. Der „Kern dieses Strafverfahrens“ sei: „Modrow muß raus aus dem Bundestag, und die ganze PDS nach Möglichkeit mit“. Ein begründeter Verdacht, wie im Vorfeld des Prozesses viele Zitate, so vom sächsischen Minister für Justiz, belegen. Modrow erinnerte daran, daß er, von der eigenen Partei mehrfach zurechtgewiesen, schon vor der Wende als „Hoffnungsträger“ galt. Eine Formulierung übrigens, die von westlichen Medien geprägt und westlichen Politikern benutzt wurde. Bereits das Urteil wegen Wahlfälschung gegen den früheren Dresdner Oberbürgermeister Berghofer habe „die Akzente bei der Bewertung oppositioneller Kräfte in der DDR zum Nachteil solcher Kräfte innerhalb der SED“ verschoben. Wer die Wahrheit feststellen wolle, der dürfe über den Widerstand, der aus der SED hervorging, nicht schweigen. Modrow nannte die Namen Paul Merker, Wolfgang Harich, Walter Janka, Rudolf Bahro und andere.

Die Anklage, von Modrow- Verteidiger Heinrich Hannover zu Beginn des Prozesses als „mühseliges Flickwerk“ gewürdigt, befasse sich mit einem Zeitraum von elf Tagen. Dies sei jedoch „ein zu kurzer Zeitraum, um Wert oder Unwert eines Staates, seiner Organe oder seiner Menschen zu bewerten“. So könne nicht gerecht geurteilt werden, „wenn man vor der Existenz des Kalten Krieges zwischen beiden deutschen Staaten die Augen verschließt“.

Zu Beginn 1989 „drängte alles in der DDR nach grundlegenden Reformen, nach einer Wende“. Die SED-Führung habe diese „Erwartungshaltung“ von Parteitag zu Parteitag enttäuscht, während „auch oder gerade in Parteiversammlungen der SED“ der Ruf nach Perestroika unüberhörbar wurde. Modrows Vorstellungen von einer Wende seien naturgemäß von der Fortexistenz der DDR und des Sozialismus und einer starken Sowjetunion ausgegangen. Es sollte eine „Revolution von oben“ nach dem Vorbild der UdSSR „vollzogen werden“. Dafür galt es, „bereit zu sein“.

Diese „bescheidene Opposition“, die ihm „nur fast zum Verhängnis“ geworden wäre, soll nun im rechtsstaatlichen Verfahren dasselbe bewirken: „politischen Sturz“. Zwar erkenne die Anklage „richtig unsere damalige Zwangslage“, doch sie pervertiere diese „zu einem belastendem Indiz“. Es sei ein „perfides Spiel“, wenn die Justiz der BRD „den Schutz der Kommunalwahlen im sozialistischen Arbeiter-und-Bauern- Staat“ betreibe. Die Fälschung der Wahlergebnisse habe „politisch nichts anderes bewirkt, als einigen in der DDR-Führung eine heile sozialistische Welt vorzugaukeln“.

Auch bei Staatsanwalt Meinerzhagen sind Modrows Worte „nicht ohne Eindruck geblieben“. Doch wüßte er allzu gern, „wie denn nun die Verantwortlichkeiten tatsächlich gewesen“ seien. Die Antwort auf diese Frage wird er sich jetzt nur noch von Zeugen geben lassen können. Modrow will schweigen. Detlef Krell