■ Zur Ehrenrettung einer Glaubensgemeinschaft
: Das alte Lied

Ich will nicht behaupten, daß sich irgendwann, Ende der siebziger Jahre, irgendwelche Dunkelmänner in einer der Machtzentren der Welt getroffen haben, um im Verborgenen Stück für Stück ein Ungeheuer zusammenzubasteln, das inzwischen den furchterregenden Namen „Islamischer Fundamentalismus“ trägt. Doch blickt man auf die vergangenen 15 Jahre zurück, gewinnt man den Eindruck, als hätten schon damals kluge Strategen den Untergang des Weltkommunismus, der jahrzehntelang der westlichen Welt als Schreckgespenst gedient hatte vorausahnend, sich vorgenommen, ein neues Feindbild zu instalieren.

Begonnen hat es mit der Machtübernahme Khomeinis im Iran. Der greise Fanatiker, der den Islam zur Errichtung seiner Schreckensherrschaft instrumentalisierte, wurde im Westen, und zwar fast ohne jegliche Differenzierung, zum Repräsentanten der rund eine Milliarde zählenden islamischen Welt gekürt, einer Welt, die angeblich entschlossen war, Rache zu üben und unter der Flagge des islamischen Fundamentalismus gegen die übrige Menschheit einen erbitterten Glaubenskrieg zu führen. Von den Predigern in den Kirchen bis Betty Mahmoody („Nicht ohne meine Tochter“), Peter Scholl-Latour und Gerhard Konzelmann sorgten alle dafür, daß sich das neue Feindbild in den Köpfen festsetzte. Von nun an konnte jeder Konflikt zwischen dem Westen und der arabisch-islamischen Welt als ein Gegensatz zwischen der erhabenen Zivilisation der primitiven Barbarei des Islam deklariert werden. Ohne diese psychologische Vorbereitung und Kriegführung wäre der sogenannte zweite Golfkrieg kaum möglich gewesen.

Selbst das uralte Palästina-Problem ist mittlerweile seines politischen Inhalts beraubt. Es entsteht der Eindruck, als ginge es bei diesem Konflikt nicht um das berechtigte Verlangen eines vertriebenen Volkes nach der Rückkehr in die eigene Heimat, sondern um einen Glaubenskrieg zwischen den Muslims und den Juden.

Ich will keineswegs leugnen, daß es innerhalb des Islam eine fundamentalistische Strömung mit totalitärem politischem Anspruch gibt, eine Strömung, die nicht zuletzt aufgrund der genannten psychologischen Kriegführung ihre Basis stärken konnte. Doch dieser Fundamentalismus ist nicht identisch mit dem gesamten Islam, ebensowenig wie der unübersehbare Fundamentalismus im Christentum und Judentum mit der Gesamtheit dieser Glaubensgemeinschaften identisch ist.

Es ist eben das alte Lied: seit dem kolonialen Zeitalter sind die Europäer nicht nur bestrebt, ihre ökonomischen Interessen in der übrigen Welt durchzusetzen. Sie versuchen, auch in allen denkbaren Bereichen des geistigen und materiellen Lebens ihre Sicht- und Denkweise, ihre Aufassung von Recht und Unrecht, von Moral, Erziehung und Bildung, von Gut und Böse als allgemeingültig und unantastbar dem Rest der Welt aufzubürden. Sie bestimmen, was erhaben und primitiv ist, sie setzen die Maßstäbe, nach denen man das Schöne vom Häßlichen, das Humane vom Inhumanen unterscheidet. Sie wollen sogar den Schwarzhäutigen suggerieren, daß schwarz häßlich und weiß schön sei. Wird dieses koloniale Zeitalter jemals zu Ende gehen? Bahman Nirumand