Sanssouci
: Vorschlag

■ „Daggers, Dragons and Decadent Dwarfs“ im Tacheles

Kleider machen Künstler. Der Garderobenständer im Bühnenhintergrund biegt sich unter kostbaren Stoffen. Lange Jacken im Rokoko-Stil gibt es da, samtene Westen, ein buntkariertes Harlekin-Kostüm, Seidenschals, Pluderhosen und Hüte bis zum Abwinken. Jon Flynns neues Programm „Daggers, Dragons and Decadent Dwarfs“ (Dolche, Drachen und dekadente Zwerge) könnte als Modenschau durchgehen, denn vor jedem Stück wechselt der englische Performance-Künstler sein Outfit. Dabei plaudert er mit betont britischer Nonchalance: „Das nächste Stück handelt von zwei Leuten: der eine ist die normale Sorte Mensch, also ein depressiver Irrer.“ Dumpf-rhythmische Musik kommt aus dem Lautsprecher, und Jon Flynn, jetzt in der Rolle des besagten Unglücklichen, beklagt „the nauseating shroud“ (das ekelerregende Leichentuch) des Alltags.

Flynns Texte sind reich an Vokabeln, die hierzulande nur Anglistik-Studenten mit dem Schwerpunkt „elisabethanische Lyrik und Dramatik“ kennen. Gleichzeitig kultiviert Flynn eine Aussprache, die die älteren Mitglieder der Royal Shakespeare Company noch auf der Schauspielschule gelernt haben mögen. Wir Deutschen begegnen ihr sonst nur zu Silvester, wenn Miss Sophy wieder einmal das Glas erhebt: „Admirrral Van Schnyder!“ Was man dennoch versteht, ist mal esoterisch, mal banal: Träume und Phantasie sind wichtig, erfahren wir, obwohl oft „der Peitschenschlag der Wirklichkeit über dein Gesicht kracht“.

Freilich gibt es soviel zu sehen und zu hören, daß die Bedeutung der Texte nicht gar so wichtig ist. Jon Flynn variiert Tonlage, Rhythmus und Tempo rasch und phantasievoll, immer wieder verfällt er in Sprechgesang. Seine Bewegungen, die angedeuteten Tanzschritte und pantomimischen Gesten vermögen einen liebeskranken Wichtelmann ebenso mühelos darzustellen wie eine spröde Prinzessin. Flynns Seemannsgang in dem Stück „A Doomed Silver Ship“ macht Hans Albers mühelos Konkurrenz. Glanzpunkt des Programms, das Stücke aus den drei vorhergehenden One-Man-Shows mit vier neuen Nummern verbindet, ist „The One-eyed Spy“. Zu James-Bond-Motiven als Musikbegleitung tanzt Flynn als gleichermaßen kurvenreicher wie androgyner Spion in Schlaghosen.

Das Publikum spendet nach jeder Nummer höflichen Beifall. Auch des Künstlers etwas krampfhaft ironische Forderung nach audience participation vermag die Zuschauer nicht zu enthusiasmieren. Den größten Widerhall findet eine Kurzgeschichte von großer sprachlicher Schönheit, die Jon Flynn ruhig, fast sachlich vorträgt und die Neugier auf seine (unveröffentlichten) Romane weckt. Wem das knapp anderthalbstündige Programm dennoch etwas lang vorkam, den tröstete die Kernaussage des letzten Stücks: „Gelangweilt zu werden, ist ein wahnsinniges Vergnügen.“ Miriam Hoffmeyer

Zu sehen vom 26. bis 28. April um 19.00 Uhr im Tacheles (Camera), Oranienburger Straße