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■ Václav Havel wurde mit dem Theodor-Heuss-Preis geehrtAbschied von der Vergangenheit

Als Václav Havel im Januar 1990 die Bundesrepublik besuchte, da rieb sich ganz Europa noch verwundert die Augen. Das „bourgeoise Bürgersöhnchen“, das noch im Frühjahr des vergangenen Jahres wegen eines Blumenstraußes für Jan Palach ins Gefängnis gewandert war, trat nun als Staatspräsident der Tschechoslowakei an die Reste der Berliner Mauer. Die Macht der Ohnmächtigen hatte die Unterzeile eines der bekanntesten Bücher des Dramatikers gelautet, von nun an, so schien es, sollten die Prager Intellektuellen das realsozialistische Land „zurück nach Europa“ führen. So zumindest hieß der außenpolitische Slogan der „samtenen Revolution“.

Und auch als in den folgenden Jahren manch ungute Nachricht von Prag nach Bonn oder Berlin drang, zeigte man sich dort optimistisch. Auf dem Hradschin, da waren sich alle einig, residierte weiterhin unangefochten der Dichterpräsident, ihm brachte man uneingeschränktes Vertrauen entgegen. Daß die unerwarteten langwierigen Verhandlungen über den deutsch-tschechischen Freundschaftsvertrag zum erstenmal deutlich gemacht hatten, daß Havel zu Hause nicht mehr unumstritten war, wurde in Deutschland schnell wieder vergessen.

Gut drei Jahre später besucht Havel – diesmal nur mehr als tschechischer Präsident – erneut die Bundesrepublik. Doch nicht nur das Land, das er repräsentiert, ist in der Zwischenzeit um ein Drittel kleiner geworden, auch in Deutschland hat sich die nachrevolutionäre Euphorie schon lange gelegt. Havels Person scheint davon allerdings wenig betroffen. Wieder einmal nahm er am Samstag mit dem Theodor-Heuss-Preis eine der inzwischen unzählig gewordenen Auszeichnungen entgegen, wieder einmal trifft er seinen Freund Richard von Weizäcker. Daß Havel mit seiner Außenpolitik die Zukunft der deutsch-tschechischen Beziehungen eher belastete als ihr förderlich war, dürfte während dieser Besuchstage kaum diskutiert werden.

Diese Zukunft beginnt mit der Vergangenheit. Seit Havel zum erstenmal den „mutigen Schritt“ wagte und sein „Bedauern“ über die Vertreibung der Sudetendeutschen durch die Tschechen äußerte, ist dieses Thema zum Trauma der Beziehungen der Tschechischen Republik zur Bundesrepublik geworden. In unzähligen Zeitungsartikeln, Fernsehsendungen, Interviews und öffentlichen Diskussionen beschäftigten sich Tschechen und Deutsche, Vertriebene und Vertreiber, Exilanten und Daheimgebliebene, Linke und Rechte mit dieser Frage. Ein Thema wurde zerredet, ein jeder vergrub sich in seinen Gräben. Und selbst wenn im Prager Außenministerium nun tatsächlich über eine Entschädigung eines Teils der Sudetendeutschen nachgedacht werden sollte, wird dies in der tschechischen Öffentlichkeit doch nie mehrheitsfähig sein.

Der Grund für die tschechischen Diskussionen liegt vor allem in der völlig falschen Annahme, das diese Vertreibung der Sudetendeutschen weiterhin eines der zentralen Themen der Bundesrepublik wäre. Eine Einschätzung, zu der die Bonner und vor allem Münchner Politiker nicht Unwesentliches beigetragen haben. Es war Bundesaußenminister Klaus Kinkel, der bei der Neueröffnung des Goethe-Instituts in Prag feststellte: „Das Problem der Sudetendeutschen spielt in der deutschen Politik eine bedeutende Rolle. Darauf muß ich als deutscher Politiker Rücksicht nehmen.“

Dabei ist es sicher keine neue Erkenntnis, daß der Einfluß der sudetendeutschen Fürsprecher aus Bayern schon lange und besonders nach der deutschen Wiedervereinigung ständig weiter sinkt. Und so besteht nun zum erstenmal die Chance, daß sowohl die deutschen, als auch die tschechischen Politiker endlich einen Schlußstrich unter die inzwischen mehr als hundert Jahre alten deutsch-tschechischen Zwistigkeiten setzen. Die Frage, wer die Schuld an deren Zuspitzung trägt, wird so oder so nie für beide Seiten befriedigend beantwortet werden können. Ein abschließendes Urteil könnte dann etwa so aussehen: Im 19. und 20. Jahrhundert wurde das jahrhundertealte multinationale Zusammenleben im entwickeltsten Teil der Habsburger Monarchie durch die nationalen Bestrebungen beider Seiten zerstört: Stück für Stück wurden aus Böhmen Tschechen und Deutsche.

Die unsäglichen Diskussionen behinderten die deutsch-tschechischen Beziehungen jedoch auch auf der Ebene der civil society. Rund ein Jahr dauerte es, bis Václav Havel sich bereit erklärte, das Patronat für ein deutsch-tschechisches Begegnungszentrum zu übernehmen, das in dem Ort, an dem sich Franz Kafka zu seinem „Schloß“ inspirieren ließ, entstehen soll. Im Unterschied zu vielen Amerikanern, die zu Tausenden nach Prag pilgern, um sich von dem deutsch-tschechisch-jüdischen Milieu inspirieren zu lassen, treten die Deutschen dort als die allwissenden – und ungeliebten – Lehrmeister auf. Und während es cleveren Youngsters aus den USA gelungen ist, mehrere englischsprachige Zeitungen sowohl für Einheimische als auch Besucher ins Leben zu rufen, bewegen sich die deutschsprachigen Zeitungen auf dem Niveau der Minderheitenblätter der Husák-Ära.

Der weitgehende Stillstand der deutsch-tschechischen Beziehungen – der sich inzwischen auch auf der wirtschaftlichen Ebene zeigt – hat aber auch mit den allgemeinen Schwierigkeiten der Tschechen, eine konsistente Außenpolitik zu formulieren, zu tun. Das vom Präsidenten formulierte „Zurück nach Europa“, sein Bemühen um eine stärkere mitteleuropäische Zusammenarbeit, ist in Böhmen und Mähren schon lange einer Euro- Skepsis und einer allgemeinen Orientierungslosigkeit gewichen. Für diese Entwicklung trägt natürlich zunächst die EG die Verantwortung: die Tschechen wollen und können immer weniger verstehen, warum die Westeuropäer ihre Grenzen für osteuropäische Importe dichtmachen, der „Fleischkrieg“ der letzen Wochen, der tagelang das Kommentarthema der Prager Medien war, ist nur ein Beispiel dafür. Gleichzeitig kann man von der konservativen Partei des tschechischen Ministerpräsidenten Václav Klaus aber kaum erwarten, daß sie die „europäische Idee“ auf ihre Fahnen schreibt. Für die Mehrheit ihrer Politiker war Europa nie viel mehr als ein Wirtschaftsverbund. Als dieser die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllte, verlor man jedes Interesse und begann „tschechische Interessen“ zu formulieren.

Auch für diese Entwicklung trägt Havel einen Großteil der Verantwortung. Charta-77-Unterzeichner Jan Urban hat in der jüngsten Ausgabe von Lettre internatinal deutlich gemacht, wie rücksichtslos sich der Präsident nach seiner Wahl von früheren Mitstreitern – die er allerdings als Konkurrenten begriff – distanziert und so erst den Erfolg der Konservativen möglich gemacht hat. Die Folgen dieser Politik bekommt Havel inzwischen jedoch selbst zu spüren. Nachdem er wiederholt vom tschechischen Außenministerium und Václav Klaus kritisiert wurde, scheint er inzwischen bereit, auf die Rolle des „geistigen Vaters der Nation“ zu verzichten. Der Mächtige spürt seine Ohnmacht, doch vielleicht hält ihn ja gerade das von zukünftigen Alleingängen ab. Den deutsch-tschechischen Beziehungen kann das nur nützen. Sabine Herre

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