Keine Alternative zum Präsidenten

■ Nach Umfragen des Russischen Instituts für Meinungs- forschung hat Jelzin großen Rückhalt bei den Rentnern

Drei Tage vor dem Referendum sah Dr. Lewada vom Russischen Institut für Meinungsforschung die Ergebnisse des Referendums noch nicht so positiv. „Er wird bei drei Fragen gewinnen“, so der grauhaarige Soziologe. „Die Vertrauensabstimmung zu seinem sozial-ökonomischen Reformprogramm wird er nicht gewinnen.“ Das Institut ermittelte, daß Jelzin seine Unterstützer in Moskau vor allem unter den Arbeitern (62%), Studenten (62%) und Rentnern (65%) hat. Etwas geringer, aber immer noch deutlich positiv ist die Unterstützung bei Direktoren/Managern (58%) und Hausfrauen (56%). Am geringsten ist die Unterstützung bei den Militärs (53%) und den Arbeitslosen (43%). Nur 40 Prozent der Wähler in Moskau, so die Prognose des Instituts vor der Wahl, wollten die zweite Frage beim Referendum (Unterstützen Sie die sozial-ökonomische Politik von Jelzin und der Regierung?) mit „Ja“ beantworten; 40 Prozent mit „Nein“, 20 Prozent unentschieden).

Welche gesellschaftlichen Gruppen unterstützen die sozialökonomischen Reformen der Regierung? Nach der Prognose des Instituts sind es 57 Prozent der privaten Unternehmer, 47 Prozent der Arbeiter, aber nur 42 Prozent der Militärs. Bei der dritten Frage (vorgezogene Neuwahl des Präsidenten) ist das Ergebnis des Forschungsinstituts mit seiner Prognose von 33 Prozent fast deckungsgleich mit dem für die Neuwahl des Präsidenten (28%). Moskau, so Lewada, ist die Hochburg der „Jelzinisten“. Dies wird auch bei der vierten Frage deutlich. 68 Prozent der Wähler in Moskau wollten bei der vierten Frage für die Neuwahl des Parlaments stimmen.

„Nicht sehr demokratisch, aber sicher nicht totalitär“

Jelzins zweite Hochburg sind die Regionen im Ural mit den Städten Jekaterinenburg, Tschjeljabinsk, Magnitogorsk und anderen großen Industriestädten.

Die konservativsten Gebiete sind, so Lewada, die mittleren Städte. Diese Städte befinden sich heute in einer schwierigen Situation: hier ist die Arbeitslosigkeit am höchsten. Oft gibt es nur eine einzige Fabrik, von der der ganze Ort abhängt. Die Betriebsdirektoren haben in diesen Städten einen großen Einfluß auf die öffentliche Meinung.

Was sind die Gründe für eine Unterstützung beziehungsweise Ablehnung Jelzins? Dr. Lewada faßt das Ergebnis folgendermaßen zusammen: „40 Prozent der Befragten unterstützen Jelzin, weil Jelzins Name mit demokratischer Bewegung und demokratischen Trends in unserer Gesellschaft verbunden ist. Der zweite Grund für die Unterstützung ist, daß es keine Alternative zu Jelzin gibt. Drittens sieht ein Teil der Gesellschaft Jelzin als einen ,Garanten gegen die Rückkehr der kommunistischen Herrschaft‘.“

Wie begründen Jelzins Gegner ihre Ablehnung? „Die Hauptgründe sind, daß Jelzin seine Versprechen, die er dem Volk gegeben hat, nicht einhalte. Außerdem, so heißt es, wolle er einen totalitären Staat aufbauen.“ Der letzte Vorwurf, meint Lewada, stamme noch aus den Zeiten, als die Sowjetunion noch existierte. „Zur Zeit benutzt jede Seite im Kampf diesen Slogan gegen den politischen Gegner.“ Gegen Jelzin diesen Vorwurf zu erheben sei Unsinn. „Seine Regierungsform ist nicht sehr klar, nicht sehr demokratisch, aber sehr weit vom Totalitarismus entfernt.“ Ulrich Heyden, Moskau