Sammler von Müll und Sprachfetzen

■ Florian Vogelfrei wurde aus Versehen Mitte März im Cafe Anfall erschossen / Heute wird der Künstler, Schauspieler und Verfasser des "Manischfest" beerdigt

Berlin. „In der Szenekneipe Café Anfall an der Gneisenaustraße hat ein Mann in der Nacht zum Sonntag einen Kellner erschossen und zwei Gäste verletzt...“ So stand es am 16. März in der Berliner Presse. Aber: Der erschossene Kellner Rolf K. (30) war gar kein Kellner. Er hieß auch schon lange nicht mehr Rolf K. Florian Vogelfrei war Avantgarde Junk. Nur zufällig hat er an diesem Abend in seiner Lieblingskneipe ausgeholfen. Nur zufällig stand er in der Schußlinie, wurde am Hals getroffen und starb. Seine Freunde sind tieftraurig. „Aber auf eine makabre Art paßt dieser zufällige Tod auch zu Flo“, sagt Arthur.

Florian Vogelfrei gehörte zum harten Kern des Berliner RA.M.M.-Theaters. Er hat an vielen Stücken mitgearbeitet, unzählige Rollen gespielt. In dem Stück „Ding“ spielte er den Funker „Stinkende Mülltüte“. In „Bestia Pigra“ war er eine der blutrünstigen Kreaturen, die eine nach der anderen exekutiert wurden. „Wir wollen der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten und die Absurdität unserer Zeit zeigen“, erklärt Klex die Idee, die hinter RA.M.M. steht. „Für Flo waren die Details wichtig“, erzählt Ben, „Wenn der auf der Bühne war, mußte man immer ganz genau hingucken. Er hat viele witzige kleine Bewegungen in seinen Part eingebaut und sich genau überlegt, wie er die Rolle am besten spielt.“

Da es für das Theater in Berlin keinen Raum gab, wanderte die Gruppe aus. Mit viel Arbeit baute sie das Schloß Bröllin bei Pasewalk wieder auf. Bis Ende letzten Jahres hat auch Florian Vogelfrei im Schloß gewohnt und mitgearbeitet. „Das Tolle an Flo war, daß er nicht nur auf der Bühne immer voll da war, sondern auch den ganzen Organisationskram gemacht hat.“

Florian Vogelfrei war Künstler und leidenschaftlicher Müllsammler. „Er hat diese Müllcontainer mit den alten Ostsachen geliebt“, sagt Arthur. „Ich weiß ja nicht, wie das bei anderen Leuten ist, aber Flo ist immer mit den Taschen voller Kram aus diesen Containern rumgelaufen.“ Für irgend etwas habe er die dann immer mal gebrauchen können. Ben klimpert mit einem Armband, das Florian aus rund einem Kilo alter Flügelmuttern gebastelt hat. „Als nächstes wollte er eine Skulptur aus alten Schallplatten bauen“, sagt Klex.

Florian Vogelfrei war Performer. Im Juni 1987 hat er einen BVG-Bus der Linie 19 mit seinem „Manischfest“ (Kurzform von Manisches Manifest) bemalt. Er hat in verschiedenen Bands Musik gemacht. „Es ist schwer zu beschreiben, was das für Musik war“, sagt Klex, „das war halt was völlig eigenes.“ Manchmal habe er gesungen, manchmal auf einer Muschel geblasen. „Vorbilder hat er eigentlich nicht gehabt“, meint sie. „Aber Dada fand er toll.“ Florian hat viel gesammelt, Sachen, Musik oder Sprachfetzen, und die dann neu zusammengesetzt.

„CARIES CANN COLA CAUM CALT CONSUMMIEREN.“ Das ist die dritte Strophe vom „Manischfest“. „Ich finde, das paßt gut zu ihm“, sagt Arthur. Flo habe sich schon in frühen Jahren in der Szene rumgetrieben. „Er hat nichts ausgelassen im Leben, und das sah man ihm an.“ Vor zwei Jahren habe er dann neue Zähne gekriegt. „Die hat er immer gerne rausgenommen und vorgezeigt“, erinnert sich Katharina. Florian habe viel ausprobiert und nie Angst gehabt, sich lächerlich zu machen. „Weißt du noch, als er mit dem Bärenkostüm auf der Demo aufgetaucht ist?“ fragt sie.

Wenn Florian Vogelfrei nicht im Schloß Bröllin residierte, wohnte er in dem besetzten Haus in der Kleinen Hamburger Straße im Bezirk Mitte. In der letzten Zeit hat er angefangen, ein Netzwerk verschiedener Kunstprojekte aufzubauen. „Es ist gar nicht so leicht, die ganzen Leute an einen Tisch zu kriegen, aber er hat es geschafft“, erzählt Katharina. Er hat versucht, Gelder und Räume für Ausstellungen aufzutreiben, und ist dabei immer wieder im Sumpf der Bürokratie stecken geblieben. „Viele unserer Stücke handeln von Menschen, die irgendwo in der Maschinerie der Bürokratie verschwinden“, berichtet Katharina. „Flo hat diesen ganzen Apparat gehaßt. Na, kein Wunder, wenn man seit Jahren mit dem Sozialamt um ein bißchen Geld zum Leben kämpfen muß.“

Florian sei schon ein bißchen eigenartig gewesen, findet Ben. Er habe auch immer so komischen Kaffee mit Zimt und Kardamon gekocht. Und immer etwas Besonderes gemacht. Zum Beispiel zum Frühstück Honigbrot mit Knoblauch gegessen.

Ganz schön launisch konnte er auch sein, erinnert sich Arthur. „Wenn dem was nicht gepaßt hat, dann hat er es auch gesagt. Da hat es oft ganz schön geknallt.“ „Das stimmt, aber er war doch ein lieber Mensch“, meint Katharina. Lieb, ja, aber auch ganz schön chaotisch, ergänzt Arthur. Florian Vogelfrei wird heute um 10 Uhr auf dem Sankt Matthäus-Friedhof in der Großgörschenstraße beerdigt. Julia Gerlach