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Männer muß man immer zweimal fragen Von Andrea Böhm

Es war, zugegebenermaßen, längst überfällig. Auf dem Kinsey-Report von 1948 sammeln sich bereits Staub und Schimmel – Amerika brauchte nichts dringender als eine neue Datenerhebung über seine Männer und ihr Sexualverhalten. Gesagt, getan: Das Alan-Guttmacher-Institute befragte 3.321 US-Männer im Alter zwischen 20 und 40 Jahren; heraus kam, daß sie im Schnitt sieben Mal die Woche ins Bett gehen, davon aber bei sechs Gelegenheiten einfach einschlafen. Sex steht nur einmal wöchentlich auf dem Programm. Die Zahl der BettpartnerInnen beträgt – statistisch errechnet – „nur“ 7,3. Das erschüttert nicht nur die Betreiber von Kondom-Fachgeschäften, von denen sich einer erst einmal mit der Hoffnung tröstete, das Guttmacher-Institute hätte einfach die falschen Leute befragt. Ein origineller Einwand, aber mit dem Argument könnte man in Zukunft jede Umfrage in den Müll werfen.

Die Öffentlichkeit, vor allem der männliche Teil, würde gerne dieser These folgen, zumal er die Resultate als höchst rufschädigend empfindet. Das männliche Selbstwertgefühl, bekanntermaßen angeknackst, war in jüngster Zeit in den USA dank filmischer Vorbilder wie Michael Douglas in „Basic Instinct“ oder Robert Redford in „Indecent Proposal“ wieder zaghaft aufgeblüht. In „Indecent Proposal“, zu deutsch „Unanständiger Vorschlag“ bietet der Mann mit dem Grand Canyon im Gesicht gar eine Million Dollar, um mit der Gattin eines anderen wenigstens eine Nacht verbringen zu dürfen. Da tun sich Abgründe zwischen Leinwandhelden und realen Männern auf. Autoren von Männerbüchern treten nun an, die Ehre ihrer Geschlechtsgenossen zu retten, und erklären, Männer müsse man immer zweimal nach der Häufigkeit der sexuellen Kontakte fragen. Beim ersten Mal vergessen sie angeblich die Hälfte. Mal abgesehen von dieser Schaumschlägerei um Imagepflege und Mythenbildung, enthält der Guttmacher-Bericht auch politisch Brisantes. Er behauptet nämlich, die Zahl der Homosexuellen in den USA betrage nicht zehn, sondern nur ein Prozent. Dieses Ergebnis platzt mitten in die ohnehin schon aufgeladene Debatte um gleiche Rechte für Schwule und Lesben in den USA, die derzeit nicht nur um Antidiskriminierungsgesetze im zivilen Leben, sondern auch um den ungehinderten Zugang zur Armee kämpfen. Rechte TV- Evangelisten und Kirchenführer klatschten vor Freude in die Hände angesichts der ganz neuen Perspektive, daß ihre Erzfeinde möglicherweise so zahlreich gar nicht sind. Zu früh gefreut! Erstens scheint bislang niemandem aufzufallen, daß den Mitarbeitern des Guttmacher-Reports die Existenz von Frauen – und damit auch lesbischen Frauen – völlig entgangen ist. Zweitens zeigte die Demonstration von über 600.000 Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Heterosexuellen, die nichts gegen Lesben, Schwule und Bisexuelle haben, am Sonntag in Washington, daß diese Minderheit es an Mobilität und politischem Aktivismus mit jeder Mehrheit aufnehmen kann – egal, ob sie nun zehn oder ein Prozent der Gesellschaft ausmacht. Drittens gilt auch bei diesem Teil des Guttmacher-Reports: Alle Männer zweimal fragen. Beim ersten Mal vergessen sie die Hälfte.

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