: Isegrim und Rüsteviel Von Thomas Pampuch
„Vor Jahrhunderten hätte ein Dichter dieses gesungen?/ Wie ist das möglich, der Stoff ist ja von gestern und heut.“ Mit den Tierfabeln hat es so seine Bewandtnis. Sie scheinen nicht zu altern. Reineke Fuchs beispielsweise – derzeit köstlich und routiniert vorgetragen von Eberhard Esche im Münchner Volkstheater – ist so ein Stoff, bei dem sich jede Generation aufs neue im Spiegel sieht. So als würden sich Isegrim der Wolf, Braun der Bär, Grimbart der Dachs, Lampe der Hase, Henning, Gieremund, Kratzefuß, Hinze und wie sie alle heißen, immer nur zu dem Zwecke versammeln, uns jeweils heutigen Menschlein zu zeigen, wie sehr wir doch auf den Hund (oder sonst ein Getier) gekommen sind. Aber halt, wieso eigentlich auf den Hund?
Franz Alt hat hier neulich – durchaus zu Recht – gescholten, daß wir Menschen immerzu die Tiere beleidigen, wo und wenn wir doch die Menschen meinen. Homo homini homo! Hat er uns Alt-klug zugerufen. Also nicht: Das Schwein bestimmt das Bewußtsein, es gilt die idealistische Umkehrung. Stimmt.
Nicht der Fuchs, der Wolf, der Löwe, der Fleischerhund oder gar das ebenso liebenswerte wie wohlschmeckende Schwein sind böse, sondern wir zweibeinigen Frevler, die wir uns zur Beschreibung des Unmenschlich-Menschlichen meistens in die Zoologie flüchten. So weit, so klar.
Was aber hat seit Äsop, La Fontaine und Goethe bis zu Orwell die Dichter und Denker umgetrieben, immer wieder im Reich der Tiere zu wildern, wenn sie den Menschen heimleuchten wollten? Der Wunsch zur Verunglimpfung der Viecher? Wohl doch nicht. Ist es nicht eher der Kunstgriff, daß unschuldige Tiere ausgestattet mit menschlichen Zügen, (nicht also das Tier im Menschen, sondern der Mensch im Tiere) uns unser Wesen bis zur Kenntlichkeit vorführen?
„Fabel und Wahrheit gemischt, damit ihr das Böse vom Guten/ Sondern möget und schätzen die Weisheit...“ Ein Hornochse, ein Esel, eine olle Ziege sind nur dann deppert, wenn sie vermenscht sind. Aber kein Schwein wird sich beklagen, kein Hahn danach krähen, daß man sie zum Belehren und Beleidigen verwurstet. Es ist ihnen, so steht zu vermuten, eher wurscht. Sie sind glücklicher, wenn sie uns nicht zuhören.
Ein anderer Franz hat vor langer Zeit die Tiere einmal beim Wort genommen. Mit den Vögeln geplaudert, mit den Öchslein getratscht, den Eselchen gepredigt. Es scheint nicht so, daß es den Tieren von Assisi danach entscheidend besser ging. Auf jeden Fall haben sie sich offensichtlich nicht zur Fortsetzung der Kommunikation mit den Menschen entschlossen. So bleibt uns nur die Fabel. Das Fabelhafte daran: Sie tut den Tieren nicht weh, und dennoch nutzen sie uns. Indem wir unser Bewußtsein in die Tiere projizieren, erkennen wir unsere Lächerlichkeit.
So wie eben bei Reineke Fuchs mit seinen anmutigen Hexametern: „Aber wie sollte die Welt sich verbessern? Es läßt sich ein jeder/ Alles zu und will mit Gewalt die andern bezwingen/ Und so sinken wir tiefer und immer tiefer ins Arge.“
Und wie heißt der erste leibhaftige Mensch, der in der Fabel auftritt? Rüsteviel heißt er.
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