Kosmetik an unserem deutschen Verbrechen

■ betr.: "Erbe in Stein, um der Zeit zu widerstehen" (Eröffnung des U.S. Holocaust Memorial Museum), taz vom 23.4.93

betr.: „Erbe in Stein, um der Zeit zu widerstehen“ (Eröffnung des U.S. Holocaust Memorial Museum), taz vom 23.4.93

Das Fernbleiben des deutschen Staatsoberhauptes und des deutschen Regierungschefs, die beide lieber an anderer Stelle repräsentiert haben, sagt viel aus über den Wahrheitsgehalt der aus Bonn eingetroffenen offiziellen Worte zur Einweihung des Holocaust-Gedenk-Museums in Washington. Die Schuld anderer Völker am jüdischen Volk macht das Ausmaß des Verbrechens unserer Nation am jüdischen Volk gewiß nicht kleiner. Es war wesentlich bequemer für Bundeskanzler Kohl, das Gedenk-Museum zu einem früheren Zeitpunkt zu besuchen. Vor 10.000 Überlebenden wäre wohl wenig zu repräsentieren gewesen. Wenn er sich also schriftlich über den „Völkermord an den europäischen Juden“ äußert, ist das nichts weiter als Kosmetik an unserem deutschen Verbrechen!

[...] Es geht nicht darum, ob wir noch von den begangenen Taten der inzwischen alt gewordenen Menschen, der Väter und Großväter, für uns etwas annehmen wollen oder nicht – wie weit unsere Regierenden und wir, das Fußvolk, damit einverstanden sind oder nicht! Die Vergangenheit unseres Volkes ist verwachsen mit der Gegenwart und daher auch mit der Zukunft, so wie das Fleisch mit der Haut. Es betrifft uns alle, ob wir, um die Wiederholung zu vermeiden, das Geschehen als Kollektivschuld anerkennen und zu tragen versuchen. [...] Elisabeth Mühlhäußer, Stuttgart

Manchmal kann mir übel werden, wenn ich die Handlungen der Regierenden dieses Landes betrachte. Zur Eröffnung des Holocaust-Gedächtnis-Museums gingen sie deshalb nicht hin, weil das „Nachher“ darin nicht gezeigt wird. Statt dessen beschäftigen sie sich mit der deutsch-französischen Freundschaft (Kohl) bzw. mit der IGA in Stuttgart (von Weizsäcker). Beide Ereignisse haben doch scheinbar etwas Prägenderes in die deutsche Geschichte gebracht als der Holocaust...

Wie Mimosen verhalten sich die Herrschaften und wollen scheinbar nicht wahrhaben, daß das jetzige Deutschland keine neue Herkunft hat, sondern daß dieselbe Wurzel die gleichen Triebe treibt wie damals!

Es geht nicht darum, daß Deutschland momentan für uns Juden so gefährlich sein könnte wie in den Jahren 1933-1945! Wenn wir jedoch die neuen Triebe betrachten, dann sehen wir, daß sie sehr bald die gleichen Früchte tragen können wie bei den Vätern und Großvätern. Es ist also kein Nachteil, daß das „Nachher“ nicht gezeigt wird – weil dann doch Morddrohungen, Steine und andere Mittel, mit denen wir Juden in Deutschland „bedacht“ werden, mit frischem Datum beigefügt werden müßten!

Eigentlich habe ich auch an diesem Holocaust-Gedächtnis-Museum einiges auszusetzen.

1. Was sucht es in der amerikanischen Hauptstadt und nicht in Berlin, wo es tatsächlich in Bezug auf die Vergangenheit wie auf die Gegenwart mehr zu mahnen hätte?

2. Warum müssen wir Juden für die Dokumentierung aufkommen und für jüdisches Geld dieses Museum errichten? Wäre es nicht Aufgabe von Tätern? (Dabei meine ich nicht nur Deutschland, da die faschistischen Mörder keine Mangelware in Europa gewesen sind!)

3. Warum wurden wir wiederum als Alibi benutzt und neben uns das serbisch-bosnische Problem angesiedelt? Sind dort nicht beide Parteien ebenbürtig in ihren Handlungen (Vergewaltigung, Folter und andere Grausamkeiten)? Außer dem Warschauer Ghettoaufstand ist kaum ein anderer Aufstand bekannt, in dem es um den Schutz des nackten Lebens ging. Im ehemaligen Jugoslawien schlachten sie sich jedoch gegenseitig ab und versuchen sich damit gegenseitig „ethnisch“ zu „säubern“ – während die damalige Barbarei einseitig war. Das momentane Geschehen auf dem Balkan hat also keine Parallele zur Ausrottung des jüdischen Volkes oder zu ihren Verwurzelungen, während es im ehemaligen Jugoslawien doch um territoriale Ursachen geht. [...] Schoschanna Platschek-B.,

Stuttgart