Kieler SPD zwischen Hysterie und Depression

■ Die Basis fühlt sich verraten, die Führungsriege sorgt sich um die Zukunft

Vor dem Zimmer des Regierungssprechers steht eine leere Sektflasche. Die wartet wohl schon länger da, denn momentan haben die GenossInnen im Kieler Landeshaus nichts zu feiern. Zwischen Hysterie und Depression schwankend sind sie anderweitig beschäftigt: mit dem Tod des Königs, dem Königsmörder und dem neuen König – der auch eine Königin sein könnte. König Engholm hat seine Krone abgelegt, auf alle Ämter verzichtet, aber das ist schon fast nicht mehr das Entscheidende.

Entscheidender ist für die SPD- Basis in Schleswig-Holstein, daß der Ministerpräsident a. D. das von ihm selbst kreierte „Prinzip-Engholm“ – eine „anständige“, saubere Politik zu betreiben – verletzt hat. Die Basis ist wütend. „Ich find das eine Sauerei“, flucht ein kleiner Angestellter der Landesregierung und guter Sozi, „da arbeitet man an der Basis und vertritt Engholms Linie, und dann passiert so was.“ Und eine Kollegin fügt hämisch hinzu: „Wenn er schon so was macht, soll er wenigstens nicht das Sensibelchen spielen, sondern mehr Saumagen essen und es aussitzen.“

Ganz am Anfang hat die Schubladenaffäre das Vertrauen der GenossInnen in ihre Führungsriege nicht erschüttern können. Nach den ersten Ungereimtheiten fingen sie an zu zweifeln und warteten nervös auf neue Enthüllungen. Jetzt ist die Bombe geplatzt, und sie fühlen sich verraten. „Jetzt muß die Sinnfrage neu gestellt werden“, heißt es bei einigen, und das Parteibuch steht dabei durchaus zur Disposition.

Solche Gefühle liegen den Politprofis fern. Die führenden Funktionäre kümmert nicht Engholms Moral, sondern die Zukunft der SPD im Norden und anderswo. Und die sehen sie finster. „Hier kommt alles ins Rutschen“, bemerkt einer aus der Fraktion, der unter seiner Bräune ganz blaß ist. Eine vernünftige Erklärung, warum Engholm seine „Petitesse“ so lange verschwiegen hat, hat dieser Parteigänger nicht: „Das begreift hier keiner.“

Auch der SPD-Landesvorsitzende Willi Pieyk begreift nur, daß es „sicherlich schwer verständlich und vermittelbar ist, daß die Korrektur nicht früher vorgenommen wurde. Dies war ein politischer Fehler.“

Doch was CDU und FDP in Schleswig-Holstein aus diesem „Fehler“ machen werden, begreifen die Sozis sehr wohl. Sie fürchten zu Recht, daß die Christdemokraten jetzt keine Ruhe mehr geben werden, bis sie die Barschel- Affäre zu einer Engholm-Affäre uminterpretiert haben. Außerdem werden die Frei- und Christdemokraten – so wie es die Grünen bereits am Wochenende getan haben – schnellstens Neuwahlen fordern. Das wollen die Sozialdemokraten auf jeden Fall verhindern. Schon deshalb müssen sie Engholms noch warmen Stuhl so bald wie möglich neu besetzen. Doch als basisorientierte Partei werden sie abwarten, bis der Landesparteitag am 15./16. Mai sein Votum abgegeben hat.

Heide Simonis steht zur Nachfolge bereit

Heide Simonis, schleswig-holsteinische Finanzministerin und seit dem Rücktritt von Sozialminister Jansen Stellvertreterin des Ministerpräsidenten, steht zur Nachfolge bereit. Doch noch ein anderer soll angeblich ein Auge auf das Amt des Landesvaters geworfen haben: der Bundestagsabgeordnete Norbert Gansel, der seinen Wahlkreis in Kiel hat.

Von ihm kursiert Häßliches an der Förde. Angeblich hat sich Gansel als Königsmörder betätigt und die Presse von Engholms Fehltritt unterrichtet. Grund: Er habe schon bei Engholms Kür zum Kanzlerkandidaten nicht gerade frohlockt, habe später – vergeblich – auf die Nachfolge Günther Jansens spekuliert und wolle sich jetzt auf Engholms Thron setzen. Aber ob Gansel oder ein anderer am Werk war: sicher ist, daß ein Genosse, den Engholm ins Vertrauen gezogen hat, dieses mißbraucht hat. Diese Erkenntnis hebt nicht gerade die Moral der Parteifreunde.

Dabei wollte sich Engholm angeblich noch einen sauberen Abgang verschaffen. Aus eigenem Antrieb habe er gestern an die Öffentlichkeit gehen wollen, behauptet Regierungssprecher Rink. Bereits seit Engholm seinen Anwalt Schulz am 20. April von der Schweigepflicht entbunden hätte, habe er diesen Schritt geplant. Denn seitdem war klar, daß der Anwalt dem Untersuchungsausschuß berichten würde, Engholm bereits eine Woche vor der Landtagswahl über die Kontakte Nilius/ Pfeiffer informiert zu haben. Rink: „Engholm ist die Chance genommen worden, sich hinzustellen und zu sagen: So war's. Und ausgerechnet ein Genosse hat's verhindert. Gott schütze mich vor meinen politischen Freunden.“ Bascha Mika, Kiel