Kanal-Dackel und Minen-Pinguin

■ Rüstungskonversion bei Systemtechnik Nord / Kanalinspektionskamera geht in Serie

hierhin bitte die

Kamera, die in die

Röhre guckt

Gullyver, der Kenner des Bremer Untergrundes, kurz vor seinem ersten AuftrittFoto: STN

Schlammig ist der Boden in Abwasserkanälen. Herkömmliche Inspektionskameras kommen nur 200 Meter weit, dann wird das Kabel, das sie hinter sich herziehen, zu schwer: die Räder drehen durch. Gullyver passiert sowas nicht, der robbt auch einen Kilometer weit, um Risse in den Wänden aufzunehmen. Der dackelförmige Gullyver zieht nämlich ein ganz spezielles Glasfaserkabel hinter sich

her, dünn und robust. Das hat er vom unbemannten Minensuch- U-Boot namens Pinguin. Gullyver, das ist ein Konversions-Produkt der Firma Systemtechnik Nord (STN), einer Tochter des Bremer Vulkan.

Jetzt geht Gullyver in Serie — allerdings erstmal in eine Kleinserie von zehn Stück. Man ist vorsichtig, schließlich sind alle bisherigen Versuche, Konversionsprodukte zu verkaufen, gescheitert: „Sehr, sehr gute Produkte, aber auch sehr teuer“, sagt Gullyver-Projektleiter Lothar Anders. Da die Aufträge der Bundeswehr jedoch allmählich auslaufen, der Druck also steigt, hat man sich endlich mal den Markt genauer angeschaut: Und siehe da, im Bereich Kanäle und Wasser gibt es Bedarf. Denn bei den bisherigen Kanalinspektionssystemen gehen bis zu 40 Prozent der Arbeitszeit für Auf- und Abbau drauf. Die Kameras müssen wegen des schweren Kabels immer wieder zurückgeholt und beim nächsten Gully neu hinabgelassen werden.

„Das ist natürlich ein Verdrängungswettbewerb, was wir da machen“, sagt Anders. Den Konkurrenten, meist mittelgroßen Unternehmen, fehlt die Forschung. Die großen Rüstungsfirmen finanzierten sich mit Staatsgeldern nicht nur die konkrete Herstellung von Rüstung, sondern auch die aufwendige Forschung dazu.

Drei Gullyvers sind schon an Entsorgungsfirmen verkauft. Auch die Bremer Entsorgungsbetriebe sollen bei der Vorführung von Gullyvers Künsten große Augen gemacht haben. Gullyver könnte auch noch ganz anderes: lange Wasser- oder Gasleitungen inspizieren zum Beispiel, auch bei Chemieunternehmen. Wenn doch nur mehr Firmen in den Umweltschutz investieren würden, seufzt da die Pressesprecherin der Systemtechnik Nord, Renate Hahne. Sie wartet auf weitere Auflagen aus Bonn.

Noch macht die Firma ihr Geld ganz überwiegend mit Rüstungstechnik, hat zum Beispiel den Auftrag für 200 Minenjagdboote bekommen. Dagegen können die drei zu je etwa 300.000 Mark verkauften Kanal-Dackel nicht anstinken. „Die Summe der Projekte macht es“, weiß die Sprecherin und zählt stolz auf, was schon bald an weiteren Konversionsgütern auf den Markt kommen soll: die Einsatzleitzentralen für Polizei- und Feuerwehr etwa, oder „Madar“, ein Maschinchen, das mit Hilfe von einer Art magnetischem Radar in den Boden schauen und dort elektrisch leitende Objekte erkennen kann - wie etwa vergrabene Ölfässer auf verlassenen Truppenplätzen der Sowjets.

Doch es wird noch Jahre dauern, ist Gullyver-Entwickler Anders überzeugt, bis sich die Konversion in allen 2.500 MitarbeiterInnen-Köpfen bei STN durchgesetzt hat. Die sind nämlich gar nicht gewöhnt daran, flexibel auf den Markt zu reagieren. Beneidet werden Anders und sein Team sowieso nicht: „Das hat alles viel Mehrarbeit gekostet.“ Trotzdem ist er froh, von der Rüstung weg zu sein. „Man hat das doch immer verdrängen müssen.“ Christine Holch