AMANDA AIZPURIETE

Foto: Märtinš Zelmenis

Amanda Aizpuriete wurde 1956 in Jarmula bei Riga geboren. Nach einem Philologie- und Philosophiestudium an der Universität Riga arbeitete sie zwei Jahre am Institut für Literatur in Moskau, danach als Radiojournalistin. „Ich habe fast keine Biographie“, sagt sie von sich selbst, „mein Leben ist sehr einfach.“ Nach der kurzen Zeit beim Rundfunk und der Teilnahme an archäologischen Expeditionen „bin ich jetzt eine Hausfrau mit vier Kindern“. Sie schreibt – wenig – und übersetzt – viel – russische Lyriker wie Mandelstam und Achmatowa, aber auch Kafka, Rilke, Trakl und Bachmann ins Lettische.

Das Übersetzen ist für sie „eine heilige Sache“, zugleich aber die einzige Möglichkeit des Broterwerbs in einer wirtschaftlich immer schwierigeren Lage. Von dieser Übersetzungsarbeit finden sich in den eigenen Versen so gut wie keine direkten Einflüsse, keine Versuche, „mit anderem Baumaterial“ zu dichten, wenig Stilisierungen. Wir spüren den Wunsch, sich im Schreiben zu verstehen und Klarheit zu erlangen über die Beziehung zur Welt und zu ihrer Zeit. In den wenigen Interviews in lettischen Zeitungen, die bekannt geworden sind, erscheint sie als widerspenstige Person, als natürliche Pessimistin, doch mit der untrüglichen Ahnung vollkommener Augenblicke, als Intellektuelle voll Trauer darüber, daß die lettische Kultur langsam und ohne Aufsehen zugrunde geht. „Aufständisch sollte man sein“, sagt sie, „aber nicht politisch. Mir scheint, Gedichte muß man in der Jugend schreiben. Wenn eine Gruppe junger Menschen zusammenkommt, dann ist es ihnen nicht wichtig, wie die Gesellschaft auf sie reagiert. Das ist auch ihre Zeit zum Dichten.“ Für sie erfüllt Dichtung ihre Funktion, ohne auf den besonderen Beifall in der Gesellschaft angewiesen zu sein.

In ihren Gedichten spüren wir eine Synthese aus diesem „Aufständischen“, aus Besessenheit und Freiheitssinn, aber auch tragischem Lebensgefühl. Diese Gedichte, nie sehr lang, gewöhnlich ohne Titel, in ihrem melodischen Aufbau einander sehr ähnlich, gleichen lyrischen Tagebuchblättern. In ihnen spricht, und das ist von größter Seltenheit, eine unverstellte, ganz ursprüngliche lyrische Stimme, wie wir sie – in anderen Tonlagen und Zeiten – nur bei Emily Dickinson, Else Lasker-Schüler oder der von ihr sehr verehrten Marina Zwetajewa vernehmen können. Joachim Sartorius

Bibliographischer Kurzhinweis:

Drei Gedichtbände in lettischer Sprache: „Die Mutter kommt in den Garten“ (1980), „Dünenstraße“ (1986) und „Der nächste Autobus“ (1990). Rowohlt Literaturmagazin Nr. 30/1992 brachte erstmals eine Auswahl ihrer Gedichte in der Übersetzung der Autorin und von Manfred Peter Hein.

Amanda Aizpuriete wird am Lyrikertreffen in Münster vom 15. bis 20. Mai teilnehmen. Im Herbst 1993 wird der Rowohlt Verlag einen Band ausgewählter Gedichte unter dem Titel „Die Untiefen des Verrats“ in der Übersetzung und mit einem Nachwort von Manfred Peter Hein veröffentlichen.

Auch alle Gedichte auf dieser Seite sind von Manfred Peter Hein ins Deutsche übertragen.