Daß etwas nicht erwähnt wird

In Karmakars Dokumentarfilm „Warheads“ sprechen Söldner über ihren Beruf /Mit dem Regisseur sprach  ■ Thierry Chervel

taz: Was mich bei den Söldnern frappiert hat, ist ihre Freundlichkeit, ja geradezu Sanftheit. Haben Sie die so ausgewählt oder sind die so?

Romuald Karmakar: Die, die im Film sind, sind so, wie sie sind. Es gibt sicherlich auch andere Söldner, andere Fremdenlegionäre. Ich kann da nicht verallgemeinern. Die beiden Protagonisten, also der deutsche Legionär außer Dienst Günter Aschenbrenner und der britische Söldner Karl, sind Personen, mit denen ich auch heute noch verkehre, und wir haben auch ein freundschaftliches Verhältnis. Diese Leute haben mich auch unterstützt, diesen Film zu machen. Günter Aschenbrenner etwa, der heute in einem Zivilberuf in Libyen arbeitet, kommt alle paar Monate für drei Wochen nach Deutschland, um bei seiner Familie zu sein. Von diesen drei Wochen hat er mehrmals zwei Wochen für den Film geopfert, ohne dafür Geld zu verlangen.

Beim Söldner Karl war es so, daß er entschieden hat, wann wir ihm nach Kroatien folgen durften. Er hat mit seinem Boß gesprochen und uns angerufen, daß wir nun nach Gospic kommen konnten. Wir durften bei ihm wohnen. Wenn in der Nacht Angriffe gestartet wurden, dann kam er in unser Zimmer und hat gesagt, „Romuald, die Einschläge sind so nah, daß wir in den Keller müssen“. Er hat sich um uns gekümmert, das ist eigentlich Aussage genug.

Mein Eindruck von diesen Leuten ist: Wenn man sie wie Menschen behandelt, wenn man sie so läßt, wie sie sind und ihnen das Gefühl gibt, daß sie in dem Film ehrlich behandelt werden, dann entsteht eine Art Übereinkunft, und das ist was Schönes, selbst wenn man nicht alles akzeptiert, was sie sagen.

Was haben Sie denn nicht akzeptiert, haben Sie auch über diese Nicht-Übereinstimmungen mit ihnen geredet?

Wenn ich sage, daß ich mit ihnen an bestimmten Punkten nicht übereinstimme, dann meine ich damit, daß ich zum Beispiel nicht in die Legion gehe. Ich gehe auch nicht für wenig Geld nach Kroatien. Ich übe ja nicht diesen Beruf aus, ich bin nicht Militär, sondern Regisseur. Das sind einfach zwischenmenschliche Nicht-Übereinstimmungen in bestimmten Ansichten, das finde ich ganz normal.

Ich hatte bei den Söldnern, die Sie interviewt haben, einerseits eben diesen Eindruck der Freundlichkeit, andererseits aber auch einer großen Verschlossenheit. Mir fällt auf, daß in Ihrem Film sehr wenig über die konkrete Situation des Tötens und auch über die Angst geredet wird.

Da widerspreche ich Ihnen sofort. Die Situation des Tötens, sogar des Folterns wird ganz konkret angesprochen – von Karl im zweiten Teil des Films, in einer langen Passage über Freundschaft, Kameradschaft, die Situation des Tötens. Da beschreibt er auch, wie das ist, wenn man jemanden foltert. Und die Angst wird von Günter Aschenbrenner ganz dezidiert beschrieben, als er über den Tod redet. Da gibt es den Satz: „Die Angst kommt immer nach der Aktion, wenn man also gar nicht mehr gefährdet ist.“

Trotzdem, mir kam das seltsam abstrakt vor.

Also, ich helfe Ihnen noch mal: Wir haben zwei Protagonisten. Einerseits Aschenbrenner, der zwanzig Jahre lang im festgefügten System der Fremdenlegion diente, deren Struktur bis ins Privatleben reicht – zum Beispiel mußte Aschenbrenner einen Antrag stellen, bevor er heiratete und durfte es erst nach Überprüfung der Frau durch die Legion.

Andererseits ist da Karl, der seit fünfzehn Jahren als Freiberufler in der Welt rumfährt und rumkämpft. Die beiden haben natürlich ein unterschiedliches Verhältnis zu dem, was sie tun. Aschenbrenner ist sehr bestimmt in dem, was er sagt, und auch in dem, was er nicht sagt. Karl hat ein großes Bedürfnis, sich zu äußern, er redet darüber, daß er Valium nimmt, er redet über sein Leben als Söldner, das grausam ist, nicht glanzvoll, das er sich aber gewünscht hat.

Aber bei beiden gilt: Daß etwas nicht erwähnt wird, heißt ja nicht, daß es nicht präsent ist. Das, finde ich, muß man beachten. Man muß es halt sehen wollen. Ich muß ja nicht immer überall Warnschilder und Pfeile hinstellen.

Wie würden Sie denn Ihr persönliches Interesse, Ihre Faszination an diesen Menschen beschreiben?

Also diese Frage impliziert ja eine sehr starke Unterstellung. Sie sagen, das fasziniert mich, und das müssen Sie mir erstmal beweisen. Wenn Sie das nicht wollen, können wir uns darauf einigen, daß das Interesse sehr stark ist.

Es ist ein Unterschied für mich zwischen einer Faszination und einem starken Interesse oder einer Neugier, die ehrlich gemeint ist. Was wollen Sie?

Der Film hört ja mit einem Statement von Karl auf, der erzählt, wie faszinierend dieses Leben ist. Da das die letzten Worte sind, dachte ich, Sie identifizieren sich damit.

Das ist eine Unterstellung. Ich sage hiermit, daß das nicht stimmt. Das sind die letzten Worte von Karl, einem britischen Söldner aus Liverpool, es sind nicht die letzten Worte von Karmakar, dem Filmemacher.

Gut, wie beschreiben Sie also Ihr Interesse?

Mein Interesse? Menschen, die sich in extreme Situationen begeben, interessieren mich einfach.

Warum?

Das ist doch interessant! Jemand, der bereit ist, für einen Sold am Monatsende einem Korps sein Leben herzugeben. Jemand akzeptiert, daß ein Korps für soundsoviel Geld mit seinem Leben machen kann, was es will. Daß jemand in so etwas einwilligt, finde ich sehr spannend.

Ist das nicht verrückt?

Das möchte ich nicht behaupten, und ich möchte mich auch nicht auf so etwas festlegen. Das ist ein Urteil, und ich fälle kein Urteil über diese Leute. Mich interessiert, daß sie das machen. Ob das gut oder schlecht ist, das ist was ganz anderes, und das ist nicht mein Film.

Sie haben den Krieg in Jugoslawien mit eigenen Augen gesehen. Gibt es Unterschiede in der Darstellung des Kriegs in den Medien und Ihrer eigenen Erfahrung?

Was in der öffentlichen Darstellung des Krieges überhaupt keinen Platz hat, ist die Banalität des Krieges. Ende Dezember 1991 sind wir nach Zagreb ins Hotel Intercontinental gegangen, wo alle internationalen Teams sich aufhielten. Dreißig Teams vielleicht. Die Teams ziehen aus, ein Team erwischt vielleicht Bilder vom Kampfgeschehen, so wie der kroatische Kameramann, der beim Filmen von einer Granate getroffen wurde – diese Bilder wurden auch im Fernsehen gezeigt. Ein Team sieht etwas. Das wird dann in diesen Europool, dieses Nachrichtennetzwerk eingespeist und im Fernsehen gesendet. Wenn man nur ein Einzelner in dieser Maschinerie ist, dann produziert man nicht immer das, was spektakulär ist.

War das auch eine Enttäuschung für Sie?

Nein, keine Enttäuschung, aber es war eine wichtige Beobachtung, so etwas mitzuerleben, zu sehen, daß es anders ist, als man denkt. Es war auch eine Erleichterung, weil man sich sonst ein bißchen unter Druck gesetzt fühlt, daß man die Superbilder mitbringen muß, wenn man nach Kroatien fährt. Dabei ist das, was man im Kroatien-Teil des Films sieht, genau das, was die Sache ausmacht. Leute, die in der Bar sitzen und einen trinken, so Schäbigkeiten, Banalitäten des Kriegsalltags. Und die Banalität ist der wichtigste Punkt jeder Kriegsauseinandersetzung.

Inwiefern?

Es ist der größte Teil des Kriegs. Warten, nichts, Sinnlosigkeit, Unkontrolliertheit. Das kommt viel häufiger vor als eine Operation. Zu den wenigen, die es geschafft haben, das in der Literatur darzustellen, gehören Michael Herr, der „Dispatches“ geschrieben hat, die Vorlage zu „Apocalypse Now“, und Ernst Jünger in seinen Büchern aus dem Weltkrieg.

Glauben Sie, daß es nötig ist, sich zur Darstellung von Gewalt und der Erfahrung von Gewalt als Regisseur selbst Risiken auszusetzen?

Jeder muß wissen, was er da will. Man kann auch Filmessays, Spielfilme, Bücher darüber machen. Ich kann da keine Ratschläge erteilen. Ich finde das alles legitim. Ich bin Risiken eingegangen, weil ich dachte, daß es so richtig ist für meinen Film. Wenn man einen Film über diese Typen macht, muß man meiner Meinung nach auch so weit gehen, wie sie selbst gehen. Sie setzen ihr Leben aufs Spiel, und dann muß man auch bereit sein, das auch zu tun. Ich persönlich mache es so, man kann es auch anders machen.