: Bauernstaat war Gift für Arbeiter
■ DDR hielt Gesundheitsbelastung am Arbeitsplatz geheim
Halle/Berlin (dpa/taz) – Daten über gefährliche Chemie-Arbeitsplätze wurden zu DDR-Zeiten von der Regierung mit größter Geheimhaltung belegt. Nach Schätzungen der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie arbeiteten allein im Raum Bitterfeld–Halle—Merseburg bis zu dreißigtausend Menschen an gesundheitsgefährdenden Arbeitsplätzen. Messungen seien zum Teil durchgeführt, die Ergebnisse aber nie bekannt gemacht worden. Dies wurde am Mittwoch in Schkopau der Chemie-Enquete-Kommission des Bundestags vorgetragen.
Der Werksarzt der Buna AG, Frank Sladeczek, erklärte, daß in Buna beispielsweise beim Vinylchlorid die nach DDR-Recht gültigen Grenzwerte um das Dreißigfache, teilweise sogar um das Hundertfache überschritten worden seien. Vinylchlorid, eine Vorstufe des PVC, erzeugt häufig Leberkrebs. Sladeczek erklärte, daß in der DDR Meldungen aus dem Westen über Krankheiten bei der Vinylchlorid-Produktion als „Krisenerscheinungen“ gewertet wurden. Im Sozialismus bewirke der Stoff keine Schädigungen.
Ähnlich beim Asbest: Der Leitende Technische Aufsichtsbeamte der Berufsgenossenschaft Chemie in Halle, Peter Krommes, erklärte, daß die Asbestbelastung ostdeutscher ArbeitnehmerInnen viermal höher lag als bei den westdeutschen KollegInnen.
Krommes versicherte, daß inzwischen die Schadstoffgrenzwerte fast überall eingehalten werden. 70 Prozent der schlimmsten Anlagen seien ohnehin stillgelegt worden, und bei den restlichen 30 Prozent hätte sich die Situation deutlich verbessert. Die seit 1991 zuständige Berufsgenossenschaft führt häufige, unangemeldete Kontrollen an den verschiedenen Anlagen durch.
Krommes betonte aber, wie wichtig es dennoch ist, die Belastungen der ArbeitnehmerInnen zu DDR-Zeiten zu erkunden. Bei den 30.000 möglicherweise Betroffenen müsse eine lebenslange Nachsorge gewährleistet sein. Nur dann könnten berufsbedingte Erkrankungen als solche anerkannt werden. Das wiederum ist notwendig, um von der Berufsgenossenschaft eine Rente zu erhalten. Seit dem Ende der DDR wurden schon rund 5.000 Anträge auf Anerkennung einer Berufskrankheit gestellt. lieb
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