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Von Obergrenzen, Kontingenten und „Altfällen“

■ Für 93 hält die Vereinbarung eine Obergrenze von 12.000 Zurückgeschickten fest

Das neue deutsche Asylrecht, das im Dezember 1992 zwischen den beiden Regierungsparteien und der SPD ausgehandelt wurde, folgt der „Drittstaatenphilosophie“. Danach, so bestimmt Absatz 2 des künftigen Grundgesetzartikels, kann sich auf Absatz 1 („Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“) nicht berufen, wer aus einem sicheren Drittstaat einreist.

Daß die EG-Länder als solche zu gelten haben, Flüchtlinge also im Sinne der Schengener Verträge nach Frankreich, Belgien usw. zurückgewiesen werden können, war auch in der SPD kaum noch strittig. Daß die Bundesrepublik zur „vollen Teilhabe“ an den Schengener Verträgen wegen des alten Asylartikels nicht fähig sei, war ein tragendes Argument, mit dem insbesondere Wolfgang Schäuble ein Jahr lang Druck auf die SPD ausgeübt hatte. Zudem fällt der Zustrom aus diesen Ländern für die BRD kaum ins Gewicht. Auch der Schweiz und Österreich wurde unterstellt, daß für sie immerhin die Einhaltung der Maßstäbe gilt, die die Genfer Flüchtlingskonvention setzt – auch wenn diesbezüglich im Falle Österreichs mindestens ein Auge zugedrückt werden muß.

Wie aber sollte mit Polen und der damals noch vereinten CSFR verfahren werden, über deren Grenzen die Flüchtlinge aus Ost- und Südosteuropa in die BRD strömten? Ohne Regelung mit den Nachbarn an den östlichen Grenzen wäre die grundrechtliche Neuregelung ungewiß und zudem von zweifelhaftem Wert.

So hatte die SPD ihre Zustimmung zur Grundrechtsänderung mit dem Abschluß entsprechender Verträge verknüpft. Zwar hatten die Parteigremien kein formelles Junktim beschlossen, aber ob mehr oder deutlich weniger als drei Fünftel der SPD-Bundestagsfraktion den Asylgesetzen Ende Mai zustimmen, hängt stark von diesen Verträgen ab. Den östlichen Nachbarn, zumal Polen, die Flüchtlingsströme umstandslos zurückzuschicken und ihnen zuzumuten, wozu die reiche Bundesrepublik sich außerstande sieht, das überfordert auch Abgeordnete, die den Kompromiß widerwillig mittragen. Ein europäisches „burden sharing“ zwischen Polen und Deutschland erhoffen sich diejenigen in der SPD, die die Asylvereinbarung mit der Koalition betrieben haben – so etwa Fraktionschef Hans-Ulrich Klose. „Es funktioniert sonst nicht“, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD, Gerd Wartenberg, bei der letzten Asyldebatte des Bundestags an die Adresse des Innenministers. Diesen pragmatischen Hinweis dürfte man – in Grenzen – auch im Innenministerium einsehen.

Der Abschluß der Vereinbarungen wurde also mit einiger Energie betrieben. Daß entsprechende Vereinbarungen mit der Tschechischen Republik (CR) hintangestellt wurden, hat auch innenpolitische Gründe. In die CR, so der Standpunkt der SPD, könne sowieso mangels entsprechender Grundlagen niemand abgeschoben werden. Anders im Falle Polens: weil es bereits Rücknahmeabkommen gibt, könnte die Bundesrepublik bei verändertem Grundgesetz zurückschicken, soviel sie will.

Dem Vertrag, der heute von den Innenministern beider Länder abgeschlossen werden soll, ist anzumerken, daß er in jeder Hinsicht unter Druck zustandegekommen ist. Daß Polen im Geschäft mit der ökonomisch starken Bundesrepublik der schwächere Partner ist, läßt sich schon daran ablesen, daß eine Vereinbarung getroffen wird, die vieles offenläßt. Die Unterschriften sind in erster Linie fällig, weil am 1. Juli die neuen bundesdeutschen Gesetze unbedingt in Kraft treten sollen.

Eine Obergrenze von 10.000 bis 12.000 zurückgeschickten Flüchtlingen hält die Vereinbarung für das Jahr 1993 fest. Sogenannte „Altfälle“ – so heißen Flüchtlinge, die vor Vertragsabschluß über die polnisch-deutsche Grenze gekommen sind – bleiben hier. In diesem Punkt mußte das Innenministerium zähneknirschend auf seine Wünsche verzichten. Sechs Monate sollen künftig bleiben, um illegale Grenzübergänge wieder abzuschieben – da setzte Bonn sich gegen die von Polen gewünschten drei Monate durch. Offen bleiben die Kontingente für die folgenden Jahre, ebenso die Summen, die zum Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur an Warschau gezahlt werden. 100 Millionen Mark heißt die Zahl aus dem Innenministerium, 150 Millionen wären aus polnischer Sicht sicher nicht zuviel.

Im Einklang mit der Genfer Flüchtlingskonvention stünde die deutsche Abschiebung in Nachbarstaaten nur, wenn dort ein Asylverfahren nach deren Maßstäben gewährleistet sei, bemerkte Burkhard Hirsch (FDP) wiederholt. Ob die bundesdeutsche Hilfsbereitschaft für die zwölftausend Zurückgeschickten des Jahres 1993 in Polen ausreicht? Tissy Bruns, Bonn

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