Prämien für die Rücknahmegarantie

Heute unterschreiben in Bonn die Innenminister Polens und Deutschlands ein Vertragswerk, das Polen verpflichtet, Flüchtlinge, die ohne Visum die Oder-Neiße-Grenze in Richtung Deutschland überquert haben, wieder zurückzunehmen.

Polnischen Zeitungslesern war Konrad Weiß bisher kaum ein Begriff. Doch in jüngster Zeit tauchte der Name des deutschen Bundestagsabgeordneten von Bündnis 90/Grüne oft sogar mehrmals täglich in den Zeitungen auf. Der Grund: Weiß forderte bis kurz vor der heutigen Unterzeichnung der deutsch-polnischen Asylverträge die Regierung in Warschau mit Nachdruck auf, deutschen Forderungen bei den Asylverhandlungen nicht nachzugeben. Die Tatsache, daß es in der Bundesrepublik Deutschland offenbar Politiker gibt, die mit der regierungsamtlichen Asylpolitik nicht einverstanden sind, wird in Polen hervorgehoben, als sei das ein überwältigender Erfolg der polnischen Verhandlungstaktik im Vorfeld der heutigen Unterzeichnung. Was Polens Presse und Politiker monatelang verschlafen haben, holen sie jetzt mit gesteigertem Eifer nach.

Inzwischen wissen sie, daß sich ihre Verhandlungsführer 1991 bei der Unterzeichnung des Vertrags mit den Schengen-Staaten über die Rückführung abgewiesener Asylbewerber über den Tisch haben ziehen lassen. Während Deutschlands andere Rückführungsverträge vorteilhafter sind als der mit Polen unterzeichnete — weil sie die Rücküberstellung zeitlich begrenzen, so daß Flüchtlinge, deren illegaler Grenzübertritt erst nach einiger Zeit festgestellt wird, nicht zurückgeschickt werden können —, dürfen nach dem deutsch-polnischen Abkommen nur Personen nicht zurückgeschickt werden, die legal über die Grenze kommen, sei es aufgrund des visafreien Reiseverkehrs, sei es aufgrund eines deutschen Visums. Ein Asylantrag gilt dabei ausdrücklich nicht als eine solche Erlaubnis. Wer also ohne Visum über die Oder kommt und an der Grenze einen Asylantrag stellt, muß von Polen zurückgenommen werden.

Als das Abkommen vor zwei Jahren geschlossen wurde, machte diese Bestimmung keinen Sinn — Asylsuchende durften nach deutschen Recht ohnehin nicht zurückgewiesen werden. Also ist der Paragraph nur dann stimmig, wenn seine Autoren schon damals geplant haben sollten, das Problem später einmal an Polen weiterzugeben. Das ist inzwischen auch polnischen Politikern klargeworden. Sie argumentieren nun, das internationale Recht gehe davon aus, daß bei einer Neuentwicklung neu verhandelt werden könne. Einer der ersten Punkte, über den sich beide Seiten einig wurden, war das Ausklammern von „Altfällen“: Wer vor Inkrafttreten des neuen Asylrechts nach Deutschland kam, wird nicht nach Polen abgeschoben. Die Warschauer Tageszeitung Zycie Warszawy kommentierte das auf ihrer ersten Seite mit dem Titel „Die Asylanten werden uns nicht überschwemmen.“

Die Angst vor einer unkontrollierbaren Schar von Fremden, die unaufhaltsam über die Grenze strömen, wie sie in solchen Überschriften zutage tritt, steht im extremen Gegensatz zur Toleranz der Bevölkerung Ausländern gegenüber. Um schätzungsweise 50.000 sogenannter „Altfälle“ ging es bei den Verhandlungen. Selbst wenn Polen die alle hätte aufnehmen müssen, wäre das nicht mehr gewesen als ein Bruchteil jener Ukrainer, Russen, Rumänen und Balten, die sich zur Zeit mehr illegal als legal und ohne einen Asylantrag zu stellen in Polen aufhalten — überwiegend um zu handeln. Und obwohl sich diese Händler und in zunehmendem Maße auch Schmuggler alles andere als unauffällig verhalten, sind bisher kaum Übergriffe gegen sie zu verzeichnen — sieht man mal von einigen wenigen Attacken polnischer Skinheads ab.

Auf Parlamentsebene gibt es zwar Vorbehalte und Vorurteile gegenüber ausländisches Kapital — gegen mittelllose Ausländer dagegen hat man nichts. Wenn ein Politiker versucht, sich mit antiukrainischen Sprüchen zu profilieren, handelt es sich meist um In- statt um Ausländerfeindlichkeit, betrifft es doch in solchen Fällen die ukrainisiche Minderheit in Polen, deren Mitglieder allesamt polnische Staatsbürger sind. Auch die Übergriffe von Mlawa vor zwei Jahren, bei denen einige Dutzend Bürger der nordpolnischen Kleinstadt die Häuser der örtlichen Roma plünderten — und inzwischen dafür zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden —, richteten sich nicht gegen Ausländer, sondern gegen eine einheimische Minderheit. Während die Presse jedoch in solchen Fällen meist für die bedrängte Minderheit Partei ergreift, ist die derzeitige Berichterstattung über Ausländer, die noch gar nicht im Lande sind, geradezu geeignet, Stimmung gegen sie zu machen.

Der Grund dafür ist, daß Polens Asyldebatte noch in den Kinderschuhen steckt und weitestgehend der Presse und dem Innenministerium überlassen bleibt. Innenminister Milczanowski und seine Stellvertreter, die von dem Problem zu sehr überrascht wurden, um wirklich kompetent zu reagieren, wiederholen bei fast jeder Stellungnahme, Polen sei „nicht vorbereitet“ für die Aufnahme einer größeren Zahl von Asylbewerbern. In einem Beitrag für die Gazeta Wyborcza urteilte Senator Karol Modzelewski sogar, die deutsche Asylgesetzänderung verletze Polens Souveränität. Zu dieser Zeit war die „Altfallregelung“ längst vom Tisch — womit sich der Vorwurf darauf reduziert, daß Deutschland etwas tut, was Polen schon lange vor dem Bonner Asylkompromiß plante: seine Ostgrenze für illegale Grenzgänger weniger durchlässig zu machen.

Die gesamte Debatte bewegt sich ausschließlich auf technischer Ebene; diskutiert und geschrieben wird nur über technische Hilfen, über ein zentrales Erfassungsregister für Ausländer, Finanzhilfen, Grenzsicherung und Ausrüstung der Polizei. Das verwundert nicht, weiß man doch, daß sich Polens Intellektuelle an dieser Debatte nicht beteiligen. Und das, obwohl sie sich sehr wohl bewußt sind, daß auch Polen eine moralische Verpflichtung hat, Flüchtlinge aufzunehmen — und zwar nicht nur, wenn internationale Organisationen für die Kosten aufkommen.

Seine Asylgesetze muß Polen schon selbst machen

Jahrhundertelang fanden Polen, die sich gegen die russische, deutsche und später sowjetische Okkupation oder das Nachkriegsregime auflehnten, überall Asyl: von London und Paris bis Australien und Neuseeland. Schon jetzt beherbergen Ungarn, Kroatien, Rußland und die Ukraine wesentlich mehr Flüchtlinge als Polen. Keines dieser Länder war darauf besser vorbereitet als Polen.

Daß sich die Innenminister- Verhandlungen auf technische Details, Abspracheregelungen und Quotenregelungen beschränken — für 1993 soll eine „Abschiebequote“ nach Polen festgelegt werden, ab 1994 dann unbegrenzt zurückgeschickt werden —, ist noch verständlich. Eine Debatte darüber, welche Flüchtlinge aus welchen Ländern Polen danach selbst aufzunehmen und wie es sie zu behandeln gedenkt, findet indessen nicht statt.

Bisher werden selbst anerkannte Flüchtlinge in Polen lediglich verwahrt — in den gleichen Lagern wie jene, die auf ihre Anerkennung warten. Eine Chance, die Lager zu verlassen, haben sie selbst dann nicht, wenn sie einen Arbeitsplatz gefunden haben. Das, und nicht der Drang in den reicheren Westen, ist der Hauptgrund dafür, warum fast niemand in Polen Asyl beantragt. Deutschland kann, wie gefordert und bereits vereinbart, Polen beim Wohnungsbau, bei der Ausrüstung der Grenzposten und beim Aufbau einer zentralen Erfassung von Ausländern helfen. Seine Asyl-, Sozialhilfe- und Ausländergesetze muß Polen schon selbst verabschieden. Klaus Bachmann, Warschau