: Sonne im Herzen
■ Blankenburger im Urlaub auf Mallorca
Erst fällt die kleine Frau Pilz ins Wasser, und die Siebzigjährige droht von den Fluten hinweggerissen zu werden. So viel Regen hat's gegeben. Abends dann, beim Spiel Werder gegen Bayern, macht die Gruppe aus Bremen in kürzester Zeit alle reichlich anwesenden Lederhosenfans mundtot. Und schließlich trifft man auch noch Frau Dr.Seidel. Typisch Mallorca. Typisch Mallorca???
Frau Dr.Seidel macht just zur selben Zeit Urlaub auf der „Putzfraueninsel“ wie ihre ehemaligen PatientInnen. Sie war Stationsärztin in Blankenburg, der alten Langzeitpsychiatrie Bremens in der Nähe von Oldenburg. Dort waren bis zur Auflösung der Institution die ultimativ „hoffnungslosen Fälle“ untergebracht (eingesperrt, ans Bett geschnallt, ruhiggespritzt, mit Tabletten vollgepumpt), die Menschen, die man lieber vergessen wollte. Solchen „Fällen“ begegnet die Ärtzin plötzlich auf Mallorca und versteht die Welt nicht mehr. Eilig verabschiedet sie sich. Und sechs BremerInnen, insgesamt 150 Jahre Psychiatrie, begleitet von zwei Sozialpädagogen, ziehen fröhlich ihres Weges, was macht schon das bißchen Regen, der Urlaub hatte schließlich gerade erst angefangen. „Hab' Sonne im Herzen, ob's stürmt oder schneit,“ singt Frau Lutter, die alle Karin nennen.
Karin ist 64, groß, hat eine tiefe Stimme, raucht entsetzlich viele Zigaretten. Sie ist seit dem 17.Lebensjahr blind und hat fast 40 Jahre Anstaltsleben hinter sich. In Bremen lebt sie, wie die anderen Mallorcareisenden auch, in einer betreuten Wohngemeinschaft. Dort hat sie vom Brötchenschmieren bis zum Putzen und Einkaufen alles wieder gelernt. Das eigentliche Wunder ist, daß sie auch wieder zu träumen gelernt hat. Von Orangenbäumen und einem schicken Badeanzug (“Lila, der letzte Versuch!“) und der Sonne. „Spürst du was,“ fragt Karin auf der Promenade von Port de Soller, wo sie in einem Neckermann-Hotel wohnen. „Was?“ — „Die Sonne!“
Sie wollen ganz normale Touristen sein, sie haben bunte Sachen an, Strohhüte, kaufen Postkarten, Eis und die „Bild“. „Ätsch Mallorca!“ macht das Blatt eines Tages auf, „Bremen: 28 Grad, Mallorca: 14 Grad.“ Doch die Bremer freuen sich über Orangen, an denen noch Blätter sind, über die billigen Rauchwaren und die Freuden des Konsums. Daß Umstehende doch glotzen und grinsen, liegt nicht zuletzt an Frau Schäkel. Anita ist 72 und wehrt sich lautstark und unartikuliert gegen alles, was ihr nicht paßt, besonders gegen Enge und Bedrängnis. Davon gab es genug in ihrem Leben — den Urlaub, den alle TeilnehmerInnen aus eigener Tasche bezahlen, finanziert sie teilweise über eine NS-Opfer- Rente. Am liebsten beschenkt sie ihren Favoriten, Erich, „meinen Mann“, wie sie sagt. Erich trägt drei Armbanduhren gleichzeitig.
Einmal bestehen Karin, Frau Pilz und Herman Hanko, der sich meist etwas abseits hält, ein Abenteuer. Die drei Alten steigen einen schmalen Pfad hinab zu einer der hier im Norden raren Badebuchten. Die Entgegenkommenden warnen dringend. Aber die Seilschaft erreicht ihr Ziel, auch wenn die Damen ein Stück durchs Wasser getragen werden müssen. Und dann lümmelt man sich am Strand, im Hintergrund räkeln sich die Adonisse.
In kurzer Zeit bewegen sich die Alten in der Fremde fast mit größerer Sicherheit als die „Normalen“. Werner, der erst für den Flug seinen Mofahelm einpacken wollte, hat für den Abend eine Kneipe entdeckt. Und wer, wie Anita, eher unverständlich spricht, für den ist Spanisch auch kein Schrecken. Tatsächlich kommt sie irgendwann zurück in die Hotelbar und war alleine Essengehen. Da sind sogar die Betreuer fassungslos.
Bus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen