Gigantisch, unökologisch, häßlich: Überall in den neuen Bundesländern werden Einkaufszentren auf die Wiese gepflanzt. Gemeinden gieren nach Gewerbesteuern und ein bißchen „Aufschwung Ost“. Investoren und Architekten verkaufen den Konsumpark als Motor für den Einstieg in die Marktwirtschaft. Der Saalepark bei Merseburg ist Ostdeutschlands größte Retortenstadt für den schnellen Warenumschlag. Von Rolf Lautenschläger und Bascha Mika

Drive-in in die Marktwirtschaft

Wer auf der A9 von Berlin kommend in Richtung Nürnberg fährt, dem begegnet ein paar Kilometer hinter Leipzig die Verästelung eines Autobahnkreuzes. Das Kuriose an diesem Schnittpunkt ist, daß seine Abfahrten geradewegs in Ostdeutschlands größtes Einkaufszentrum münden: den Saalepark bei Merseburg.

Die Annäherung führt über weite Schleifen, als gehöre die Distanz zum Einkaufsspiel, das den Hunger erst richtig weckt. Nach einer Weile weicht die grüne Wiese zurück, sie wird abgelöst von Beton und Aluminium: Hochregallager ziehen vorbei, Spiegelglas blitzt, hohe Einkaufstore und bunt bemalte Fassaden mimen die Signale für den Fetisch Ware. Der mobile Besucher wird eingefädelt in einen der 50 Pass-ways, die ihn zu den Autostellplätzen bringen. Vor ihm erhebt sich nun die Schauseite des 500 Meter langen Konsum-Paradieses.

Unter einem Dreiecksgiebel geht es hinein in den Warentempel. Den Schwerpunkt des Areals bildet die „Mall“ — eine über zweihundert Meter lange Einkaufsstraße, an der rund 80 kleine Geschäfte sowie tiefe Kaufhallen für Warenhäuser und Modezentren liegen: von Hertie über Quelle zu Hennes & Mauritz, Toys for us und Hussel-Süß. Durchschnittlich 35.000 Menschen schieben sich an Wochentagen durch die Kunststraße. Am Ende der Mall schließt die Einkaufsmeile jeweils mit einer großen Kaufhalle beziehungsweise einem Möbellager ab. Drei Glasdächer spannen sich über die Mall. Ein flügelartiges Regendach über der Flaniermeile und der artistisch geformte „Mittelstreifen“ kämpfen gegen die Eintönigkeit. Künstliche Quellen, Kanäle und Brunnen mühen sich, die Saalelandschaft zu assoziieren.

Doch die Verkaufsmaschine für den Umschlag großer Warenmengen ist kaum mehr als eine blecherne Kiste aus dem Katalog verzierter Supermärkte. Die Lager beherbergen Waren en masse und en gros für den überregionalen Verkauf — für Leipzig, Halle und Jena sowie für Teile von Thüringen, Sachsen und Brandenburg.

Der Saalepark ist wie ein Produkt aus der Retorte für den „Aufschwung Ost“. Um ihn braust der Verkehr, Autos werden verschluckt und wieder ausgespuckt. Er ist ein Ding der Schnelligkeit und mißratener Maßstäbe, ein großer Verkaufsschlager für die Begehrlichkeiten williger Konsumenten. Über der gesamten Anlage leuchtet als Reklame-Chiffre — fast wie eine Drohung — eine spitze Stahlnadel, die das dollarähnliche Logo „Saalepark“ aufspießt. Das aggressive Zeichen symbolisiert, worauf es ankommt: Die Saale-Region ist zur Trophäe geworden.

Die Anlage enstand von Ende 1990 bis Mitte 1992 abschnittsweise auf einer Fläche von 20 Fußballfeldern. 100.000 bebaute Quadratmeter, 6.500 Parkplätze, kilometerlange Betonpisten. Rund 400 Millionen Mark steckten die Bauherren Möbel-Höffner (Berlin) und die Immobilien-Center-Management (ICM) aus Düsseldorf, eine Tochter der Westdeutschen Landesbank, als Gesamtinvestition in das Bauvorhaben.

Investoren nutzten politische Grauzone der Wendezeit

Das Einkaufscenter ist eine Leichtbaukonstruktion mit 890.000 Kubikmetern Verkaufsfläche. Sie wirkt wie herbeigeweht — ein überdimensionales Drive-in für Fast-food und Konfektion von den Berliner Architekten Wittemeyer & Partner. Mit dem Hinterteil zur Verkehrsader ist das Hochregallager plaziert; daran schließen sich die zweigeschossigen Hallen für ein Heer von Laderampen an. „Das Projekt ist praktisch in der Übergangsphase der Vereinigung durchgezogen worden“, erklärt Hanno Müller von der Bezirksregierung in Halle. Die Investoren nutzten die politische Grauzone der Wende, um ihre Begehrlichkeiten noch nach altem DDR- Recht durchzuboxen. Sie brauchten nur die zuständige Gemeinde Günthersdorf, ein 600-Seelen- Nest, und die Kreisverwaltung in Merseburg zu überzeugen. Die Grundstücke kauften die Bauherren für Pfennigbeträge von den Bauern. Planungsrechtliche Bestimmungen und Prüfungen zur Umweltverträglichkeit konnten sie sich sparen.

„Heute würde der Saalepark nicht mehr genehmigt werden“, gibt man in der Kreisverwaltung Merseburg zu. Dort hat man inzwischen auch bemerkt, daß der riesige Klotz auf der grünen Wiese nicht nur sogenannte Einkaufsvergnügungen bringt. Doch Marianne Riemeier, seit 1984 Bürgermeisterin von Günthersdorf, verteidigt ihr Vorgehen: „Es war klar, daß die Probleme kommen. Aber sonst hätte ich kein Gewerbe und keine Arbeitsplätze gekriegt.“

Auch nach Ladenschluß soll das Gelände noch etwas bieten: zehn Kinos, ein McDonald's, Restaurants, Cafés und eine Kegelbahn. „Ein Einkaufs- und Freizeiterlebnis mit Autobahnanschluß“, finden Wittemeyer & Partner. Doch hinter der glitzernden Fassade scheint das schnöde Prinzip des SB-Marktes durch. Urbanität wird hier im Hochglanzformat inszeniert. Die Geschäfte entlang der Mall mimen Stadt — aus Versatzstücken mediterraner Architektur. Auf eine forcierte Weise wird Straßenraum postuliert: zum einkaufen, verweilen und schlendern. Dabei fehlt alles, was Stadt ausmacht: die Menschen, die darin wohnen und arbeiten, Lebendigkeit und Intimität.

Das flächenfressende Bauprogramm mitten auf dem Acker ist eine Metapher für die Zwiespältigkeit des „Aufschwung Ost“. Die Rentabilität — die Betreiberfirma hofft, den Umsatz in diesem Jahr auf 850.000 Millionen Mark zu steigern — geht auf Kosten der nahen Städte, die tagtäglich verlassen werden in Richtung des Shopping- Centers. Es gibt dort keine Bäcker, keine Metzger und keine Schuster mehr. Der Saalepark entzieht den Städten Merseburg, Halle und Leipzig jährlich Hunderte Millionen Mark Umsatz. „Die Planer eines so großen Einkaufszentrums haben den Bürgern einen Bärendienst erwiesen“, betont Christian Albert Jacke, Stadtrat für Wirtschaft in Leipzig. „In den Ortskernen mußten ganze Berufszweige aufgegeben werden. Städte verfallen, während sich außerhalb ,Speckgürtel‘ ansetzen.“

Doch Bürgermeisterin Riemeier aus Günthersdorf wischt solche Vorwürfe vom Tisch. „Die umliegenden Gemeinden sind doch nur neidisch auf unsere Gewerbeeinnahmen“, behauptet sie. Denn in der Region ist nicht nur zwischen den Städten und Gemeinden, sondern auch über die Ländergrenzen Sachsen/Sachsen-Anhalt hinweg der Kampf um die Gewerbesteuern voll entbrannt. Die Ansiedlung von Unternehmen bietet den Kommunen oft die einzig lukrative Einnahmequelle. Sie sind zu fast jeder Konzession bereit, wenn ein Investor auf den Plan tritt. „Der Unmut der Nachbargemeinden ist unbegründet“, regt sich Riemeier auf. „Schließlich profitiert die ganze Region vom Saalepark.“

Aber im Moment sehen das selbst die Günthersdorfer anders. Sie fühlen sich wegen der niedrigen Grundstückspreise, die ihnen die Investoren 1990 zahlten, geprellt. Zusätzlich ist ihr Ort seit Jahren eine einzige Baustelle, durch den sich die Laster quälen und der vollkommen umgekrempelt wird. Wegen des Dauerstaus im Dorf ist der Ausbau der B191 geplant, so daß die Bewohner mindestens bis 1996 nicht aus dem Lärm und Dreck herauskommen werden. Riemeier: „Im Moment dankt mir niemand für mein Engagement. Der Gemeinderat hat dem Dorf zu Reichtum verholfen. Doch bis der kommt, muß ich mir noch viel Gefluche anhören.“ Hans-Joachim Geißler, Geschäftsführer der Saalepark-Betreiberfirma, schlägt noch heftiger auf die Günthersdorfer ein: „Die meckern nur, weil es ihnen zu gut geht.“

Auch die Kritik der umliegenden Städte und Gemeinden schmettert Geißler ab. Schließlich fänden im Saalepark 4.000 Leute Arbeit, die zu 98 Prozent aus der Region kämen. „Wenn es tatsächlich um die Einzelhandelslandschaft gehen würde, dürften die anderen Städte selbst keine Einkaufzentren genehmigen.“ Das tun sie aber: Leipzig plant im Süden das Shopping-Center Paunsdorf, fast so groß wie der Saalepark. Gewerbeansiedlungen verschönern bereits die Peripherie von Halle und Merseburg. „Der Saalepark ist ein vielversprechendes Modell. Das Einkaufen auf der grünen Wiese soll den Städten vormachen, wie die Bürger am liebsten konsumieren“, rechtfertigt der Stadtplaner Paul Gleye das Waren-Disneyland (s. Interview). Der Saalepark erinnert auf fatale Weise an die bundesdeutschen Vorbilder aus den sechziger Jahren, als die Nomadenstädte des Einkaufs von und für Automobilisten geplant wurden. Für die ostdeutsche Gegend bedeutet der Saalepark den Offenbarungseid der Regionalplanung und städtebaulichen Verantwortung. Auch die Sehnsucht nach bergenden Orten des Einkaufs muß noch gelernt werden.