Der Verniemandungsprozeß dauert noch an

■ Vor 60 Jahren: Bücherverbrennung / In Hamburg: zwei Bücherbrände / Verfemte Hamburger Autoren gerieten in Vergessenheit

/ In Hamburg: zwei Bücherbrände / Verfemte Hamburger Autoren gerieten in Vergessenheit

Es war ruhiger als anderenorts — in Hamburg, am 10. Mai 1933: In vielen Universitätsstädten Deutschlands brannten Bücher. Nach wochenlangen Vorbereitungen von Nazi-Studenten, nach Erstellen von Titellisten und Beschlagnahmeaktionen in Bibliotheken ging überall kritische, linke und demokratische Literatur und die Werke jüdischer Autoren in Flammen auf. Unter dem Motto „Wider den undeutschen Geist“ wurden die Verfasser außer Landes gejagt oder umgebracht.

Doch in Hamburg hatte die NSDAP die Bevölkerung an diesem Tag schon anders verplant: Die Regierungserklärung des neuen Nazi- Bürgermeisters Krogmann sollte pompös gefeiert werden und die „begeisterten Massen“ sollten nicht gegenseitig Konkurrenz machen. Die Hamburger Bücherstürmer mußten einstweilen zurückstehen ...

Sie kamen wenig später zum Zuge: In Eimsbüttel fand die schaurige Zeremonie mit fünftägiger Verspätung statt. Ungeachtet des strömenden Regens versammelten sich am 15. Mai gegen 23 Uhr NS-Studentenschaft, die Hochschulgruppe des Stahlhelms und studentische Verbindungen am Kaiser-Friedrich- Ufer, um mit jener Literatur abzurechnen, die nicht in ihr „deutsches“ Weltbild paßte. Nach schwülstigen Reden über Volk und Politik warfen sie die Bücher von Lenin und Freud, von Ossietzky und Tucholsky, von Remarque, Heinrich Mann und vielen anderen VerfasserInnen in die Flammen. Doch die erhoffte Wirkung blieb aus: Kaum tausend Zuschauer waren anwesend. Hatte der Scheiterhaufen in Berlin aus 20 000 Büchern bestanden, kamen die Hamburger Nazis gerade auf ein Zehntel dieser Menge — konfiszierte Titel, die die Polizei den Studenten überlassen hatte. Unter ihnen waren auch Schriften von Hamburger AutorInnen: Ernst Johannsen und Peter Martin Lampel, Heinz Liepmann und Wilhelm Lamszus, Margarete Susman, Joachim Maass, Ivan Heilbutt.

Am 30. Mai, dem Jahrestag der Skagerrak-Schlacht, inszenierten die Hamburger Nationalsozialisten noch einmal eine Bücherverbrennung, diesmal auf dem Lübeckertorfeld und von der Hitlerjugend und dem Deutschen Handlungsgehilfen-Verband veranstaltet. Doch selbst ein musikbegleiteter Marsch quer durch die Stadt zum Verbrennungsort konnte nicht mehr Neugierige anlocken.

Aber die Zerstörungsmaßnahme

1der Nazis erwies sich schließlich doch als dauerhaft wirksam: Sie setzte einen „Verniemandungsprozeß“ (Jan Hans) der verfemten Verfasser in Gang, der vielfach noch bis heute anhält. Obschon ihre

1Werke vereinzelt in Seminaren und Vorträgen behandelt werden, bleibt ihr Beitrag zu einer kritisch-demokratischen Literatur nach wie vor ausgeblendet — als hätte es sie nie gegeben ... Kay Dohnke

1 Zur Erinnerung lesen Hamburger Schriftsteller und Schriftstellerinnen

am 15. Mai um 11 Uhr

an den Gedenktafeln

am Kaiser-Friedrich-Ufer aus verbrannten Büchern vor