"Linke werden das sicher nie"

■ Erfahrungsbericht über Jugendarbeit in rechten Szenen erschienen

„Linke werden das sicher nie“

Erfahrungsbericht über Jugendarbeit in rechten Szenen erschienen

Schiß haben die meisten SozialpädagogInnen vor dem ersten Treffen mit rechtsorientierten Jugendlichen. „Du bist Jugendamtsspion, kannst abziehen!“, bekam einer zu hören. Als er eine Woche später wiederkam, hieß es jedoch: „Kannste uns nicht Räume besorgen?“ Denn die Sehnsucht der Cliquen, endlich einen akzeptierten Treffpunkt zu haben, ist groß.

„Jugendarbeit in rechten Szenen“ heißt ein Buch, herausgegebn von Franz Josef Krafeld, Kurt Möller und Andrea Müller, das jetzt in der Edition Temmen erschienen ist. Es faßßt den ersten Erfahrungsaustausch bundesdeutscher Projekte mit rechtsradikalen Jugendlichen zusammen. Das Buch ist das Ergebnis einer Tagung vom letzten Herbst, auf der sich 20 Projekte in der Jugendbildungsstätte Lidice-Haus in Bremen getroffen hatten.

Einig waren sich die SozialarbeiterInnen über die Bedeutung eines eigenen Raumes für diese Jugendarbeit. Allerdings gehe es nicht darum, die Jugendlichen von der Straße zu holen und für Ruhe zu sorgen. Schließlich machten diese Jugendlichen für alle anderen lautstark darauf aufmerksam, daß es in den Städten immer weniger Freiflächen gebe, auf denen man herumstromern oder auch nur sich treffen kann. Stadtverschönerungsprogramme vergessen die Bedürfnisse von Jugendlichen fast immer.

Ist der Kontakt da, ein Raum gefunden, dann wird es für PädagogInnen oft erst so richtig schwierig: Denn einfach nur da zu sein, ohne den Jugendlichen dauernd Angebote für Unternehmungen oder Diskussionen zu machen, fällt schwer. Nicht Belehrungen verändern, sondern neue Erfahrungen: Plötzlich haben die Jugendlichen Verantwortungen, haben etwas zu verlieren, werden auch von NachbarInnen und BehördenvertreterInnen anders wahrgenommen.

Wenn die Jugendlichen über die Lautstärke von Oi-Musik nicht unbedingt mit sich reden lassen - SozialarbeiterInnen müssen nicht alles aushalten. Klick klack, klick klack, machte ein junger Mann mit seinem Klappmesser, immer im Rücken des Pädagogen. Erst als der sagte, „ich mach das nicht mit, daß ich hier Angst kriege“, wurde es besser. Die Bereitschaft, auf persönliche Bedürfnisse einzugehen, ist relativ groß. Keine Chance hat ein pädagogisches „Das darf nicht sein“, zum Beispiel gegen Nazi-Sprüche.

So leicht sich der Kontakt zu den männlichen Jugendlichen herstellen läßt, soviel schwieriger zu Mädchen und jungen Frauen. Die sind oft eifersüchtig auf MitarbeiterInnen, weil die Macker die Mitarbeiterinnen viel respektvoller behandeln. Offene Mädchenarbeit täte not. „Aber die ist ja noch nicht mal in der klassischen Jugendarbeit entwickelt“, sagt Andrea Müller vom Lidice-Haus.

Die Arbeit mit rechtsorientierten Jugendlichen hat ihre Grenzen: Die SozialarbeiterInnen können und wollen die Szene nicht aus der Welt schaffen, haben aber immerhin einen Zugang zu diesen Jugendlichen aufgebaut. Nicht erreicht werden Jugendliche, die fest in rechten politischen Organisationen eingebunden sind.

Obwohl die Zeitungen nicht mehr überquellen von Meldungen über rassistische Angriffe Jugendlicher: Im Vergleich zum Frühling '92 werden jetzt doppelt so viele Gewalttätigkeiten verübt, sagt Franz Josef Krafeld, Professor der Fachhochschule Bremen. Der Eindruck der Normalisierung täusche.

Dennoch ist intensive Arbeit mit rechten Jugendlichen erfolgreich: „Bremen koppelte sich als einziges Bundesland von der furchtbaren Gewaltwelle ab“, vermeldete im November 1992 das Landesamt für Verfassungschutz.

Intensive Jugendarbeit ändert ideologische Grundeinstellungen selten. „Linke werden das sicher nie“, so ein Pädagoge. Ziel der Arbeit kann daher nur sein, die Jugendlichen bei einer erfolgreichen Alltagsbewältigung zu unterstüzen. Dann nämlich verhielten sie sich auch in eher sozial akzeptierter Weise. „Aber wir müssen uns darüber im klaren sein“, so eine Sozialarbeiterin, „deren Normalität heißt dann vielleicht später: Jeden Abend vor der Glotze hängen, sich vollaufen lassen und hin und wieder die Frau verprügeln“. Christine Holch