Wer hat Angst vorm kahlen Mann?

■ "Nicht alle Skinheads sind Nazis" / Experte warnt vor pauschaler Vorverurteilung

Wer hat Angst vorm kahlen Mann?

„Nicht alle Skinheads sind Nazis“/ Experte warnt vor pauschaler Vorverurteilung

“Iih, das sind doch Nazis, warum sind die nicht verboten?“ sagt eine Schülerin, als auf dem Videoband die Skinhead-Gruppe „Four Skins“ erscheinen. „Wie kommst Du darauf, daß das Nazis sind?“ fragt der Referent. „Weil mein Bruder die hört und der ist ein Rechter“, sagt das Mädchen. „Da hast Du Dich getäuscht — die „Four Skins“ arbeiten bei einem Projekt gegen Rassismus mit.“

Genau hinzusehen und zu unterscheiden, wenn von glatzköpfigen Jugendlichen die Rede ist — das hat sich der Berliner Journalist Klaus Farin zur Aufgabe gemacht. Seit Jahren beschäftigt sich Farin zusammen mit seinem Kollegen Eberhard Seidel-Pielen mit der (rechten) Jugendszene. Nach ihren Büchern „Krieg in den Städten“ und „Rechtsruck“ haben die zwei Journalisten jetzt ein Buch über Wurzeln, Ziele und Strukturen der „Glatzen“ vorgelegt: „Skinheads“. Farin war letzte Woche in Bremen, um mit Unterstützung des Lidice-Hauses in Bremen-Nord zum Thema „(Keine) Angst vor Skinheads“ zu sprechen.

„Nicht jeder Skin ist ein Nazi, und nicht jeder Nazi ist ein Skin“, widersprach Andrea Müller vom Lidice-Haus den gängigen Vorurteilen. „Es kommt drauf an, was einer im Kopf hat, nicht darauf, wie kurz seine Haare sind. Vom Outfit her kann man nicht sagen, ob ein Skinhead ein Rassist ist“, bestätigte Klaus Farin. Die Anfänge der Skinhead-Bewegung Mitte der sechziger Jahre in England lägen in der Musik der karibischen Einwanderer und dem unpolitischen Protest gegen die Wohlstandsgesellschaft und seien multikulturell orientiert gewesen. Auch heute noch sei die Skin-Bewegung zum größten Teil unpolitisch, sondern an „Musik, Saufen und Randale“ interessiert. Daß die Skins im Laufe der Zeit rassistischer geworden seien, so Farin, liege nicht so sehr an den Jugendlichen, sondern daran, daß die Gesellschaft selbst fremdenfeindlicher geworden sei.

„Was der Verfassungsschutz über die Skins verbreitet, ist einfach Schwachsinn“, meint Farin. Die Jugendlichen seien nicht die Ursachen für Gewalt und Rassismus in Deutschland. Von den etwa 8.000 Skinheads in Deutschland (“Tendenz steigend“) bezeichneten sich jeweils etwa vierzig Prozent als „rechts“ oder „liberal bis links“. Ein Drittel der Skinheads (meist Männer zwischen 21 und 23 Jahren) sind „Nichtwähler“ aus Überzeugung, für 70 Prozent sind die „Nazi-Skins die größten Feinde“. Nicht ins Bild des rechten Mobs paßten auch linke Gruppen wie die „Redskins“ oder die „Skinheads against racial prejudice“ (SHARP).

Unter den Skinheads halten sich organisierte links- und rechsradikale Jugendliche mit etwa fünf Prozent je Gruppe die Waage

Organisierte Rechts- und auch Linksradikale halten sich mit jeweils etwa fünf Prozent in der Skinhead-Szene die Waage, sagte Klaus Farin. „Die Neonazis verzweifeln oft bei Rekrutierungsversuchen, weil die meisten Skinheads sich nicht organisieren lassen.“ Insgesamt sei die politische Einstellung der Skinheads „eher repräsentativ für den Durchschnitt der deutschen Bevölkerung.“ Als einzige verbliebene rebellische Jugendbewegung sei die Skin-Szene im Gegensatz zu den gesetzten Bürgern aber stark gewaltbereit, so Farin, und vor allem auffällig: „Wenn Glatzen jemanden verprügeln, fällt das eher auf, als wenn „Stinos“ (Stinknormale) das tun — das ist ähnlich wie mit der Auffälligkeit von Ausländern.“ Auch die Medien hätten ihren Teil dazu beigetragen, kahle Jugendliche in die rechte Ecke zu stellen und das Nazi-Problem auf die Skinheads zu begrenzen, meint der Journalist.

Also keine Angst vor dem kahlen Mann? Klaus Farin, der wegen seiner Recherchen auch schon mal Prügel von Neonazis abgekriegt hat, gibt zu, daß auch er noch ab und zu „unwillkürlich zusammenzuckt“, wenn ihm ein Trupp Skins begegnet. Aber das dürfe eben nicht automatisch zu dem Vorurteil führen, die Skins wären Rassisten. „Ich habe es erlebt, daß bei einer Diskussion die wirklichen Nazis nicht die Skinheads waren, sondern Typen, die aussahen wie Hippies.“ Bernhard Pötter