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Heckelmann möchte Schwangere abschieben

■ Ausländeramt hob neun Jahre geltenden Abschiebestopp für Schwangere, Mütter mit Babys und alte Menschen auf

Berlin. Ist Dieter Heckelmann ein Familienfeind? Was sich vor neun Jahren nicht einmal mehr der damalige CDU-Innensenator Heinrich Lummer traute, macht er möglich: Nach einer in der Ausländerbehörde verteilten und der taz vorliegenden „Mitteilung“ vom 6.April dürfen Schwangere, Mütter mit Kleinkindern und alte Menschen wieder abgeschoben, mithin auch Kinder verhaftet und Familien getrennt werden.

„Unmöglich“ findet Berlins Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) diese Anweisung, zumal die deutsche Hauptstadt damit wohl die einzige europäische Metropole sei, „die Hochschwangere abschiebt“. Sie hat in dieser Sache bereits an den Innensenator geschrieben, doch dieser hielt eine Antwort bislang nicht für nötig.

Die CDU-Politikerin setzte sich gegenüber der taz für eine Beibehaltung der bisherigen Regelungen ein. Eine Änderung sei von „integrationspolitischem Belang“, berühre „das Image der Stadt“ und müsse deshalb vom ganzen Senat beraten werden.

Die Ausländerbeauftragte war 1984 maßgeblich daran beteiligt, daß der damalige CDU-Innensenator Heinrich Lummer die Abschiebung von Schwangeren stoppte. Für die Zwangsmaßnahmen gegenüber ausländischen Frauen hatte ihn zuvor der SPD- Abgeordnete Hans-Georg Lorenz öffentlich als „Terroristen“ gebrandmarkt. Ab 1985 durften die Frauen zumindest noch drei Monate nach der Entbindung hierbleiben.

Lummers Amtsnachfolger Wilhelm Kewenig, ebenfalls CDU, ordnete im Jahre 1987 darauf aufbauend an, daß Frauen und Kinder auch dann in Berlin bleiben konnten und eine Aufenthaltserlaubnis erhielten, wenn sie bei ihrer Einreise gegen Visabestimmungen verstoßen hatten.

Mit Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes Anfang 1991 wurde diese Regelung zwar obsolet, dennoch galt in der Hauptstadt bis vor kurzem weiterhin der alte Abschiebeschutz von Beginn der Schwangerschaft bis drei Monate nach der Entbindung.

Aus guten Gründen: Die Ausländerbeauftragte wies auf den enormen psychischen und physischen Streß hin, den eine Zwangsabschiebung auf eine Frau unabhängig vom Stadium ihrer Schwangerschaft ausübt.

Jetzt aber sollen Ausländerinnen nur noch in der allgemein geltenden Mutterschutzfrist – sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt – nicht mehr außer Landes gebracht werden dürfen. Die Folge wird sein, daß die Ausländerbehörde noch schneller als bisher zum Zwangsmittel der Direktabschiebung greift.

Zweite Folge der Weisung: Auch Kinder dürfen wieder verhaftet und im Zuge der Direktabschiebung in Polizeigewahrsam genommen werden. Das gleiche Schicksal kann gebrechliche alte Menschen treffen, die auf Hilfe ihrer hier lebenden Familienmitglieder angewiesen sind – und dennoch abgeschoben werden können, weil das neue Ausländergesetz schon bei kleinen Verstößen gegen die Visumpflicht solches möglich macht. Ute Scheub

Siehe auch nebenstehenden Kommentar

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