In der Morgenröte

■ Heiner Müller las in den Hamburger Kammerspielen

Eins der wenigen funktionierenden kommunistischen Hirne Deutschlands, letzter Dramatiker der Moderne und erster einer ernsthaften Postmoderne, brillianter Entertainer mit dem Sound des Erhabenen — um Heiner Müller zu beschreiben, wird nicht gekleckert, sondern geklotzt.

Am Sonntag war der Ostberliner Großdramatiker, dessen Texte im Lauf der Zeit immer kürzer und dichter wurden, in den Hamburger Kammerspielen zu Gast. Es wurde eine sehr konzentrierte Lesung. Müller gestattete sich kaum eine Anmerkung, nur die knappesten Überleitungen und trug die Texte mit sparsamer Modulation und zurückgenommener Anteilnahme vor.

Als Einleitung nur ein halb hingenuschelter Satz — er wolle zeigen, wie aus Dramen Monologe werden und was das damit zu tun habe, wie aus Hoffnung Enttäuschung wurde — solchermaßen präpariert wurden dem Publikum zunächst zwei Szenen aus dem Frühwerk Die Umsiedlerin geboten; ein Werk aus den Tagen, als Schreiben noch half. Es folgte die Schlußszene aus dem Auftrag, die sich um die Frage dreht, wer aus welchen Gründen das Projekt der Befreiung unter verwirrten Umständen fortsetzen kann. Dann: die Landschaft der Argonauten, einer derjenigen späten einsamen Texte, die auf Geschichte warten. Ansonsten hauptsächlich eigene Lyrik.

Der Abend machte deutlich, wie Müllers Schreiben immer selbstreflexiver wurde, je weniger er sich als an der historischen Entwicklung Teilnehmender begreifen konnte. Zum Schluß rezitierte Müller aus dem Kopf einen Kommentar in Gedichtform zu den vor kurzem gegen ihn erhobenen Stasi-Vorwürfen. Selbst wenn er diese Zeilen, wie er betonte, noch nicht aufs Papier gebracht hat, so sind doch auch diese Angriffe auf dem Wege, zum Material für sein Schreiben zu werden.

Anzumerken bleibt noch, daß, ebenso banaler wie sympathischer Einfall, der Vorhang, vor dem Müller saß, die Farbe der Morgenröte hatte und daß der Whiskey genau nach einer Stunde auf die Bühne gebracht wurde. dk