„Menschen, die mit Worten töten“

Zur Rolle der Medien in Ex-Jugoslawien  ■ Von Jasna Baštić

Kein Krieg entsteht in einem Tag oder einem Monat oder gar zufällig. Während er in den politischen Zentren geplant und ausgearbeitet wird, bereiten die Medien die öffentliche Meinung für Konflikte, Kämpfe und Opfer vor. Der Krieg braucht die Bereitschaft von Menschen, die glauben, Krieg sei notwendig, vernünftig und der einzig gangbare Weg, um gewisse politische Ziele zu erreichen. Damit einer kämpfen, Waffen einsetzen und auf andere Menschen schießen will, muß er vorbereitet werden und Gründe zum Töten erhalten. Jahre bevor die ersten Schüsse fielen, bereiteten die Medien die Lage vor: Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien begann als Medienkrieg.

Am Anfang waren es die Fernsehstationen. Sie schüren bis heute nationalen und religiösen Haß, indem sie zu Diskriminierung, Feindseligkeit und Gewalt aufrufen. Zu den wichtigsten Funktionen der Propaganda gehört, Haß gegenüber anderen Staaten zu stiften. Nichtobjektive Information – das ist lediglich ein beschönigender Ausdruck für Lügen. Alles, was von der gegnerischen Seite kommt, wird vernachlässigt, als unpatriotisch abgetan oder gar als Verrat nationaler Interessen bezeichnet. Oppositionelle Politiker werden als Landesverräter oder ausländische Agenten dargestellt.

Der Tod ist Tag und Nacht auf den Fernseh-Bildschirmen präsent. In zehnminütigen Kommentaren der Hauptausgabe der Nachrichten sagt man dir, „sie“ wollten dich und deine Familie umbringen, dein Haus ruinieren und dein Land erobern. Das ist die Botschaft, die tagtäglich über den Bildschirm flimmert.

In der Hauptnachrichtenausgabe von TV Belgrad um 19.30 Uhr kannst du Bilder von massakrierten Körpern in allen Einzelheiten sehen. In Belgrad gibt es Ausstellungen über den Völkermord an Serben mit großformatigen Aufnahmen. Für Primarschulkinder organisiert die Schule den Besuch dieser Ausstellungen. Eltern, denen der Zweck dieser Aktion bewußt war, protestierten öffentlich dagegen und verlangten, daß diese Ausflüge gestoppt werden.

Die gänzlich vom Staat kontrollierten Medien sind die Instrumente, die zur Manipulation von Millionen von Menschen für Kriegszwecke mißbraucht werden. Wenn neue Politiker diese Macht übernehmen, wechseln sie bei den größten Radio- und Fernsehanstalten sowie den wichtigsten Zeitungen und Presseagenturen die Chefredakteure und Geschäftsführer aus.

Als Slobodan Milošević 1987 an die Macht kam, übernahm er zunächst die Kontrolle über RTV Belgrad und die Zeitung Politika, die in Ex-Jugoslawien die höchste Auflage hatte. Am 31. Juli 1991 übernahm die serbische Regierung mit einem Radio- und Fernsehgesetz endgültig die Kontrolle über Rundfunk und Fernsehen. Zeitungen sind für die meisten Leute zu teuer. Bei zwei unabhängigen Sendeanlagen in Belgrad handelt es sich lediglich um lokale Stationen, so daß ihr Einfluß nicht allzu groß ist.

RTV Belgrad ist die mächtigste Propagandamaschine. Nach den Wahlen von 1992 verloren dort 1.500 Herausgeber, JournalistInnen und MitarbeiterInnen ihre Arbeit, weil sie die Machthaber nicht unterstützten. Die besten JournalistInnen sind ohne Arbeit. Einigen von ihnen ist sogar der Zutritt zum Fernsehgebäude in Belgrad untersagt.

In Kroatien unterzeichnete Präsident Franjo Tudjman am 30. Oktober 1991 ein Präsidialdekret über die „Verbreitung von Informationen im Kriegsfall oder im Fall einer unmittelbaren Gefahr für die Unabhängigkeit und Einheit der Republik Kroatien“. Das bedeutet Zensur und direkte Kontrolle der Medien durch die Regierung. Die letzte unabhängige Tageszeitung Slobodna Dalmacija aus Split konnte unter dem ungeheuren Druck der Regierungspartei in Kroatien nicht überleben. Vor wenigen Wochen wechselten sowohl der Chefredakteur wie auch die redaktionelle Linie der Zeitung. Die Einwohner von Split kauften die neue Ausgabe nicht. Auch in Kroatien sind die besten JournalistInnen ohne Arbeit.

Überall ist die Methode zur Kontrolle der Medien dieselbe und äußerst simpel: Die Besitzverhältnisse innerhalb der Medien werden geändert. Wirtschaftliche Gründe dienen der Regierung als Vorwand. Unter dem neuen Gesetz wird eine Geschäftsleitung zur wirtschaftlichen Uniformierung und eine neue Chefredaktion ernannt.

In Serbien gibt es mehrere Beispiele für unabhängige Medien: so die Tageszeitung Borba, das Wochenmagazin Vreme und die lokale Belgrader Fernsehstation „Studio B“ sowie den Radiosender „Radio B 92“. Jedes Mal, wenn diese bei der Regierung eine erweiterte Sendelizenz für ein größeres Gebiet beantragten, wurden sie abgewiesen. Zweimal wurde die neue technische Ausrüstung von „Studio B“ gestohlen. „Studio B“ beschuldigte serbische Milizen, in dieses Verbrechen verwickelt zu sein.

In Bosnien und Herzegowina war die Lage verglichen mit den übrigen Teilen des ehemaligen Jugoslawien anders: Radio und Fernsehen Sarajevo und auch die Tageszeitung Oslobodjenje waren von den politischen Zentren unabhängig; dies, obwohl die nationalen Parteien nach den Wahlen vom Dezember 1990 erzwingen wollten, daß die Redaktionen nach Nationalitäten zu trennen seien.

1991 wiesen die JournalistInnen aller größeren Medien das neu vom bosnischen Parlament verabschiedete Gesetz zurück. Dieses schrieb vor, daß Chefredaktion und Geschäftsleitung vom Parlament ernannt würden. Die Medienschaffenden protestierten öffentlich dagegen und erreichten eine Gesetzesänderung durch das Verfassungsgericht.

RTV Sarajevo und Oslobodjenje waren die letzten Medien in Ex-Jugoslawien, die Berichte aus allen Regionen verbreiteten. In anderen Republiken war das unvorstellbar. Bis zum Kriegsbeginn und solange die Straßen noch intakt waren, konnte man in Sarajevo alle Zeitungen und Zeitschriften aus den anderen ex-jugoslawischen Republiken kaufen. In serbischen und kroatischen Städten war das dagegen unmöglich. TV Sarajewv strahlte an einem Abend die Nachrichtenhauptausgabe von TV Belgrad aus, am anderen Abend jene des kroatischen Fernsehens. Sarajevo war in der Vorkriegszeit die einzige Stadt ohne Informationssperre.

Als der letzte panjugoslawische Fernsehsender Yurel, der sehr populär war, in allen Republiken außer Mazedonien und Bosnien- Herzegowina Sendeverbot erhielt und die Redaktion aus Belgrad verbannt wurde, ließ er sich bis zu Kriegsbeginn in Sarajevo nieder. Yutel organisierte im Frühjahr 92 Protestkundgebungen gegen den Krieg. Der Sender appellierte an die Vernunft der Politiker. Abertausende von Menschen gingen in Sarajevo auf die Straße und forderten Frieden – so stark lag der Krieg schon in der Luft.

Der Krieg in Bosnien-Herzegowina begann eigentlich mit der Besetzung der insgesamt neun Sendeanlagen. Eine nach der anderen wurden sie von der jugoslawischen Bundesarmee und Karadžićs Verbänden eingenommen. Eine im Süden, in Herzegowina, wird heute vom kroatischen Fernsehen benutzt. TV Sarajevo, das heutige TV von Bosnien-Herzegowina, besitzt lediglich eine Anlage auf dem Berg Bjelasnica. Aus diesem Grund bekommen nur Sarajevo und Umgebung sein Programm zu sehen — sofern die Stromversorgung funktioniert.

Die von serbischen Truppen kontrollierten Regionen haben zwei TV-Stationen, eine in Banja Luka (ehemaliges Studio von TV Sarajevo) sowie in Pale, dem Hauptquartier von Radovan Karadžić. Diese Sender stehen in direkter Verbindung mit TV Belgrad.

Die Bevölkerung von Serbien und Montenegro erhält über diese Anlagen und ihre Presseagenturen Nachrichten und Informationen aus Bosnien-Herzegowina. So wurde zum Beispiel berichtet, daß Kinder den Löwen im Zoo von Sarajevo zum Fraß vorgeworfen und serbische Männer von Muslimen in Sarajevo kastriert würden. Außerdem wurde in den staatlichen Medien Serbiens zwei Monate lang, bis Ende Mai, nicht über die Bombardierungen Sarajevos informiert. Das kroatische Fernsehen berichtete nie über die Lage im Westen von Herzegowina und Zentralbosnien, wo kroatische Militäreinheiten vorherrschen. In jüngster Zeit wurde die muslimische Bevölkerung in den kroatischen Medien dermaßen verteufelt, daß der bosnische Präsident Alija Izetbegović offiziell dagegen protestierte.

Es grenzt an ein Wunder, daß trotz des einjährigen Krieges in Bosnien-Herzegowina und der Belagerung von Sarajevo die Tageszeitung Oslobodjenje jeden Tag erschienen ist. Das in den frühen achtziger Jahren gebaute moderne Gebäude, wo 20.000 MitarbeiterInnen über 20 verschiedene Zeitschriften produzierten, wurde im September 1992 von Heckenschützen, Maschinengewehren, Granaten und Panzern total zerstört.

Die Zeitung Oslobodjenje, die in den Kellern der Gebäuderuinen unter Kerzenlicht und ohne Telefonverbindung produziert wird, gilt als Symbol für das Überleben der Stadt. Einzige Verbindung zur Außenwelt ist eine Amateurfunkanlage, mit dem Oslobodjenje mit ihrem Büro in Zagreb kommuniziert. In Sarajevo ist es normal, daß mehr Leute anstehen, um die Oslobodjenje zu kaufen als für 220 Gramm Brot (die von der Regierung festgelegte Familienration) Schlange zu stehen. Oslobodjenje wurde schon mit mehreren internationalen Auszeichnungen für Professionalität und Mut ausgezeichnet.

Der Krieg geht weiter. Die staatlichen Medien betreiben nach wie vor Kriegspropaganda. Einige wenige versuchen, professionell und unabhängig zu arbeiten. Irgendwann wird wieder Frieden sein. Dann sollten auch jene, die mit Kriegspopaganda Gewalt, Haß und Feindseligkeiten auslösten, der Kriegsverbrechen angeklagt werden. Kriegspropaganda stellt für den internationalen Frieden und die Sicherheit eine Bedrohung dar. Verbrechen gegen die Menschheit sind internationale Verbrechen. Unter Anklage gestellt werden sollten Personen, die Kriegspropaganda praktizierten, zudem solche, die dies anordneten oder kontrollierten und hätten stoppen können. „Menschen und Verbrecher, die mit Computern und Schreibmaschinen bewaffnet sind und mit Worten töten“, sagte mein Freund Petar Luković, Journalist bei Vreme.

Die Journalistin Jasna Basňić kommt aus Sarajevo und lebt seit Beginn des Jahres in Zürich. Übersetzung aus dem Englischen von Gabi Ochsenbein.